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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Außenborddeck fallen. Das macht Spaß, es gefällt mir. Überall im Raum sind an strategisch wichtigen Punkten Geländer verankert und Kabel hochgezogen. Die hinterste Wand, die an ihrem unteren Rand mit dem Schott zu meiner Linken zusammentrifft – dem Schott, in dem die Luke sitzt –, ist wegen der Deckenwölbung kaum auszumachen. Dieser Raum ist wirklich groß. Ein Luxusquartier.
    Wir alle wohnen gerne nah beim Wasser.

    Und die vordere Wand …
    Wer auch immer hier gewohnt hat (oder zumindest vorhatte, sich hier niederzulassen), wollte ständig die Übersicht behalten. Genau wie die Wand vor dem Wassertank ist auch diese vordere Wand durchsichtig, allerdings von einer dicken Schmutzschicht überzogen. Irgendjemand – vermutlich das Mädchen oder der Gelbe – hat ein großes Oval in der Schreibe freigewischt. Dahinter lauern nicht zu deutende Schatten.
    Als ich hochspringe, um durch das Oval zu blicken, habe ich zu meiner Verblüffung den Bug vor mir. Was ich sehe, fesselt mich noch mehr als die Kulisse hinter mir. An diesem Punkt in der Verjüngung des Schiffskörpers ist fast die ganze konische Struktur zu erkennen. Die maximale Breite des Schiffsrumpfs muss an meinem Standort hier draußen zirka hundert Meter betragen. Dieser Raum und die anderen, die vor dem Wassertank einen Ring von Unterkünften bilden, füllen schätzungsweise ein Drittel dieser Breite aus und sind zum Bug hin ausgerichtet.
    Zehn große Zylinder, jeder etwa fünfzig oder sechzig Meter lang, sind zu meiner Rechten außenbords aufgereiht. Hinter ihren skelettartigen Aufbauten sind gerade noch die eleganten Schiffsbau- und Ausschiffanlagen sowie einzelne Begleitboote auszumachen, außerdem diverse Maschinen, die dazu da sind, die Samenschiffe fertigzustellen und auf den Start vorzubereiten. Aufgabe dieser »Samenkapseln« ist es, den Zielplaneten zu sondieren, die entnommenen Proben
zu analysieren und danach mit den nötigen Informationen zum Schiff zurückzukehren – Informationen, die wir dazu brauchen, uns an den neuen Planeten anzupassen und ihn uns nutzbar zu machen.
    Dieser Anblick löst so viele Erinnerungen bei mir aus, dass ich sie gar nicht alle auf einmal verarbeiten kann. Ich kenne diesen Ort, bin sogar sehr gut mit ihm vertraut. Es ist der Ort, an dem meine Arbeit stets beginnt, der Ort, an dem die während der langen Trainingsstunden geknüpften Beziehungen Früchte tragen, denn sie beruhen auf Zuneigung, Abenteuerlust und überaus harter Arbeit.
    Aber schon wenige Sekunden reichen aus, bei mir Klarheit darüber zu schaffen, dass all diese Anlagen und Maschinen des Schiffskörpers 03 marode sind. Sie sind nicht nur verwahrlost und ungepflegt, sondern haben ein sehr viel schlimmeres Schicksal erlitten. Der wahnsinnige Krieg, der auf diesem Schiff wütet, hat unsere Speerspitze getroffen und stumpf werden lassen. Hier habe ich die in meinem Notizbuch erwähnte Zerstörung unmittelbar vor Augen. Die Zylinder und die von ihnen umschlossenen halbfertigen Raumfahrzeuge sind demoliert, entkernt, verbrannt, von Explosionen zerfetzt. Und das schimmernde Trainingszubehör da drinnen – etwa die für die Samen riesiger Bäume vorgesehenen Kapseln aus Kristall und Stahl – ist nur noch ein jämmerlicher Trümmerhaufen. Die Anlagen rechts von mir, die all unsere Landefahrzeuge herstellen sollten, haben ähnliche Schläge einstecken müssen und sehen so aus, als hätten sich dort wütende
Kinder mit Hämmern und Schweißbrennern ausgetobt.
    »Was ist hier geschehen?«, frage ich mit brechender Stimme.
    »Du bist doch der Lehrer!«, blafft der Gelbe. »Sag du’s uns.«
    In meinem Rücken spüre ich eine Bewegung: Die Luke öffnet sich und schließt sich gleich darauf wieder.
    »Ihr habt also jemanden gefunden?«
    Als ich mich umdrehe, sehe ich mich einer grauen Gestalt gegenüber, die so spindeldürr ist, dass ich in ihr zuerst gar kein menschliches Wesen erkenne. Die Frau ist mehr als zwei Meter groß, hat ein längliches, schmales Gesicht und große dunkle Augen. Ihre Wangen und auch die langen, straffen Arme sind bis zu den nackten Schultern mit zartem dunklen Pelz überzogen. Nervös krümmt und streckt sie die Finger.
    »Er hat von selbst hierhergefunden«, erklärt der Gelbe.
    »Am Anfang hat mir das Mädchen geholfen«, werfe ich ein.
    Mit den geschmeidigen Bewegungen einer Ballerina schlängelt sich die Spinnenfrau an den Geländern und Kabeln entlang. Obwohl sie so spindeldürr ist, wirkt sie keineswegs ausgezehrt. Sie ist nur

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