Das Schiff - Roman
mich, ob diese Spinnenfrau der »hochgewachsenen Gestalt« in meinem Notizbuch ähnelt oder sogar identisch mit ihr ist.
»Das hier ist unser Arbeitsplatz«, erklärt sie. »Meine Leute bringen das Schiff in die Umlaufbahn und sind auch dafür zuständig, die Schiffskörper zusammenzufügen. Bestimmt bin ich deswegen hier.« Um Bestätigung heischend sieht sie uns einen nach dem anderen an.
»Klingt plausibel«, erwidere ich schließlich.
»Da hast du verdammt Recht. Ich weiß jetzt, was ich bin, wenn auch nicht, wer ich bin.«
Das kleine Mädchen hält sich an einer Konsole fest und beobachtet, wie die Erwachsenen mit der neuen Situation klarzukommen versuchen. Als wir uns an einem Seil hinunterhangeln, greift der große Gelbe nach meiner Schulter. »Wo ist Tsinoy?«, fragt er beunruhigt. Nachdem der Spürhund irgendetwas über die Nebelflecken gesagt hat, ist er offenbar verschwunden.
Die Spinnenfrau geht völlig in ihrer Arbeit auf, ihre Augen blitzen. Ohne jede Mühe und mit geschmeidigen Bewegungen dreht sie ihre zweite Runde durch den Kontrollraum, während der Gelbe und ich uns derzeit überflüssig fühlen. »Am besten, wir gehen zurück und halten nach dem Spürhund Ausschau«, schlage ich vor.
Wir bahnen uns den Weg nach hinten und durchqueren den beleuchteten Eingang, was ziemlich lange dauert, da vom Bereitstellungsraum her ätzender Nebel durch die immer noch offene Luke dringt und uns die Sicht nimmt. Von Tsinoy können wir keine Spur entdecken.
»Warum hätte er verschwinden sollen?«, fragt der Gelbe. »Gegenüber der grauen Lady hat er sich doch immer recht loyal verhalten.«
In der Nähe der Stelle, an der wir vorhin in den Bereitstellungsraum eingedrungen sind, kann ich eine Bewegung ausmachen – einen blassen Fleck, der sich ständig verlagert. Die Silhouette löst bei mir zwar kein Wiedererkennen aus, aber der Spürhund ist ja auch ein Verwandlungskünstler. »Ist er das?« Ich deute auf den Fleck, während der Nebel mich zurücktreibt und ich wegen der auffrischenden Luftströmungen kaum noch etwas sehen kann.
Mit vorgestrecktem Oberkörper späht der Gelbe ins Zwielicht, bis ihn die ätzende Luft zum Rückzug zwingt. »Glaub schon«, sagt er schließlich. »Dieser verdammte Nebel ist wirklich grässlich.«
Ich löse einen weiteren leeren Beutel von meinem Hosengurt und reiche ihn dem Gelben, damit er sich
die brennenden Nebeltropfen abwischen kann. »Kommt direkt auf uns zu.«
»Bist du dir auch sicher, dass es der Spürhund ist und nicht …«
Schon ist Tsinoy bei uns angelangt und rennt uns fast über den Haufen. Schon seine Nähe, erst recht der Körperkontakt löst in meiner Kehle unwillkürlich ein tiefes Stöhnen aus. Um den Spürhund zu bremsen, packt der Gelbe ihn bei einem seiner langen knotigen Gliedmaßen.
»Irgendwas kommt durch die Röhre auf uns zu«, verkündet Tsinoy. »Etwas Schlimmes.«
»Ein Mensch?«, fragt der Gelbe.
»Quatsch. So ein Wesen wie ich, nur ist es böswillig.«
»Wann wird’s denn hier sein?«, fragt der Gelbe.
»Sofort. Holt die anderen aus der Aussichtskuppel. Ist sowieso kein guter Ort. Diese grellen Nebelflecken dürften gar nicht dort sein. Holt die beiden hierher. In der Dunkelheit haben wir eine Tür übersehen. Könnte ein Fluchtweg für uns sein.«
»Zeig sie mir«, sage ich. Ohne zu zögern packt mich der Spürhund (so fest, dass es ein bisschen wehtut) und taucht mit mir in die Dunkelheit ab. Alles ringsum dreht sich um mich, jetzt bin ich ihm wirklich hilflos ausgeliefert. Doch gleich darauf hält sich Tsinoy verblüffend gewandt an irgendeiner Fläche fest, bremst geschickt ab und hebt mich vor eine runde Wandvertiefung, die von einem langsam pulsierenden rötlichen Rand eingefasst ist.
Eine Luke. Eine Luke, die sich gleich darauf öffnet.
Immer noch heftig zitternd, löse ich mich mit aller Kraft aus den Klauen des Spürhunds, treibe aber sofort hilflos von der Luke weg, obwohl ich wild um mich schlage. Während ich leise vor mich hin fluche, taucht plötzlich die Spinnenfrau neben mir auf und zerrt mich zu der Seite, an der ich nach einem Halteseil greifen kann.
»Das hättest du nicht tun sollen!«, weist sie den Spürhund sanft zurecht. Es klingt so, als ermahnte sie ein kleines Kind. Tsinoy reagiert darauf mit einem Grunzen und einem Rasseln seiner Elfenbeinwirbel.
»Was ist das?«, fragt die Spinnenfrau.
Der große Gelbe hat sich derweil durch die Luke geschwungen. »Hier sind weitere Leichen«, dringt es gedämpft
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