Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
fahren lassen, hätten wir einen freien Blick. »Sing dem Schiff irgendein Liedchen vor oder brüll es an, egal. Hauptsache, du unternimmst irgendwas.«
    Ich komme mir wie ein Idiot vor und habe gleichzeitig Angst. Wenn ich hier nichts ausrichten kann, bin ich wohl nur eine weitere Version des Lehrers, die nichts auf die Reihe bringt. Vielleicht habe ich mir die Stimme im Schiffskörper 01 ja auch nur eingebildet.
    »Offenbar haben wir die silbernen Gestalten und den Retter mit dem Strahlengewehr in 01 zurückgelassen«, sage ich, während ich vorsichtig zur Fensterfront am Bug vorrücke.

    »Silberne Gestalten gibt’s hier überhaupt nicht«, erklärt der Gelbe. »Die hast du dir nur eingebildet.«
    »Ganz wie du meinst.«
    Da ich in dieser Kammer bislang weder Halteseile noch Geländer habe entdecken können, strecke ich, um die Balance zu halten, Arme und Hände wie ein Hochseilartist aus (vor meinem inneren Auge taucht dabei ein großes buntes Spektakel auf, das man als Zirkus bezeichnet), aber das hilft mir auch nicht viel weiter. Nach wie vor hebe ich bei jedem Schritt ab und vertue viel Zeit damit, wieder auf dem Boden zu landen.
    »Rede mit dem Schiff«, fordert mich der Gelbe auf, der zehn Meter hinter mir zurückgeblieben ist.
    »Hallo! Hallo?« Meine Stimme hat in der zylindrischen Kammer einen seltsamen mehrfachen Widerhall – das letzte Echo kommt von sehr weit hinten und klingt so, als hätte sich dort eine weitere Version des Lehrers versteckt. »Was ist mit der Heizung los? Wie wär’s mit ein bisschen Wärme?«, rufe ich. »Melde dich endlich, wo du auch sein magst!«
    Wir lauschen. Im Schiffskörper sind – sehr leise – alle möglichen Geräusche zu vernehmen, es herrscht keine absolute Stille. Manche Geräusche treten regelmäßig auf, andere nur sporadisch, einige klingen volltönend und tief, andere schwach und blechern. Doch alle scheinen aus weiter Ferne zu kommen.
    Mittlerweile sind meine Hände und Füße taub geworden, die Lungen stechen, und das Kinn ist mit Raureif überzogen. Als ich den Reif wegwische, lösen sich kleine Flocken, schweben nach links und treiben langsam
nach außenbord. Was würde ich jetzt nicht alles für die solide Schwerkraft eines guten alten Planeten geben!
    Über die Schulter hinweg werfe ich einen Blick auf den Gelben. »Die fünf Minuten sind um«, sage ich. »Ich werde mich bald nicht mehr rühren können, wenn …«
    »Gehörst du zur Reiseleitung?«, fragt plötzlich eine Stimme, die aus allen Richtungen zu kommen scheint. Sie klingt weder männlich noch weiblich, aber eigentlich auch nicht wie die eines Automaten. Einen Moment lang glaube ich, dass sich der Gelbe einen Scherz mit mir erlaubt, doch er ist genauso verdutzt wie ich. In geduckter Haltung, mit gebeugten Knien und angezogenen Füßen, schwebt er langsam nach außenbord und sieht sich dabei in der Kammer um. Mit einer Geste fordert er mich auf, der Stimme, die ich nicht lokalisieren kann, zu antworten.
    Wie schon beim ersten Gespräch mit der Schiffsleitung habe ich das mulmige Gefühl, dass alles Weitere von meiner Antwort abhängt. Seinerzeit half mir die Stimme kurz weiter, setzte den Kontakt aber nicht fort und meldete sich danach nie wieder. Hatte ich sie enttäuscht?
    »Nein, keiner von uns gehört zur Reiseleitung«, erwidere ich. Ehrlichkeit scheint mir auch in diesem Fall die beste Strategie zu sein. Außerdem bin ich inzwischen fast davon überzeugt, dass die Reiseleitung an allem Schuld trägt, was dem Schiff zugestoßen ist. Das mag zwar nur ein Bauchgefühl sein, aber ich verlasse mich vorläufig darauf.

    Die Reiseleitung ist auf dem Schiff anscheinend unerwünscht. Schon dass die Stimme – die Schiffsleitung? – nach ihr fragt, ist seltsam, denn mittlerweile müsste sie ihr doch völlig egal sein.
    »Wir sind vom ersten Schiffskörper hierhergekommen«, erkläre ich. »01 ist nur noch ein Wrack. Irgendjemand oder irgendetwas – vielleicht warst du es? – hat schon einmal mit mir gesprochen …«
    »Davon weiß ich nichts«, erwidert die Stimme. »An diesem Schiffskörper hat eine Transferkapsel angedockt. Hat die Reiseleitung die Kapsel losgeschickt?«
    »Nein.«
    Darauf folgt eine lange Pause. Haben wir unsere Chance vertan?
    Doch dann meldet sich die Stimme wieder. »Hat die Kapsel Töchter mitgebracht?«
    Während sich meine Muskeln verkrampfen, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Wäre mein Körper behaart, würden sich mir jetzt sicher alle Härchen aufstellen.

Weitere Kostenlose Bücher