Das Schiff - Roman
Vorgeschichte kann ich gut und gern verzichten, schließlich ist mir die wirkliche Geschichte bekannt.
Offenbar pumpt man uns aus psychologischen Gründen mit all diesen getürkten Hintergrundinformationen voll – aber warum?
Sie trauen uns nicht über den Weg. Und haben uns deshalb so geschaffen, dass wir auf solche Vorspiegelungen falscher Tatsachen hereinfallen.
In den beengten Unterkünften an Bord suchen wir uns irgendeinen Platz. Insgesamt sind wir dreihundert Personen, alle handverlesen, getestet, gut ausgebildet und auf Herz und Nieren geprüft – in psychischer und physischer Hinsicht den Besten und Klügsten der Erde
überlegen. Und voller Elan, weil wir wissen, was auf uns wartet und was wir dort tun werden. Unser Transportmittel ist verdammt kostbar, das teuerste Ding, das die Menschheit je entwickelt hat …
Als wir uns in den Kälteschlaf begeben, um als Zeitreisende in die Zukunft zu fliegen und fünfhundert oder sechshundert Jahre später wieder aufzuwachen, freuen wir uns unheimlich auf unser Reiseziel. Eine solche Freude hat keiner von uns jemals zuvor empfunden.
Natürlich mache ich mir immer noch Gedanken über meinen Zwillingsbruder. Schließlich können wir am Ende der Reise nicht beide mit dieser Frau verbandelt sein. Aber das werden wir später klären.
Außerdem weiß ich, kann ich vorhersehen, dass …
… letztendlich nur einer von uns übrig bleiben wird.
Nur eine einzige Version von mir.
Mein Zwilling erlebt anscheinend denselben Konflikt zwischen ideologischem Drill und persönlichen Gefühlen, denn wir lösen uns beide gleichzeitig aus der Rückschau, um unserer Wut und Frustration Luft zu machen.
All das ist nur ein Täuschungsmanöver. Ein Lügengespinst.
»Wartet einen Moment«, fährt Tomchin dazwischen. »Falscher Input. Diese Geschichte ist für den Fall vorgesehen, dass auf dem Schiff alles reibungslos läuft. Aber wir halten Ausschau nach dem Teil des Katalogs, den das Schiff benutzt, wenn irgendetwas aus dem
Ruder läuft. Und wir alle wissen doch, dass irgendetwas fürchterlich schiefgegangen ist.«
Also wenden wir uns dem Betriebshandbuch sowie dem Logbuch des Schiffes zu, um jede Schadensmöglichkeit zu untersuchen. Was als Nächstes auf uns einströmt, ist sogar noch verstörender als unsere vorgetäuschte persönliche Geschichte.
Der Zielplanet ist bereits mit primitiven Lebensformen übersät, mit denen wir nicht koexistieren können, so sehr wir uns auch um Anpassung bemühen.
Außerdem haben wir keinen Treibstoff mehr und können nicht weiterziehen … Jetzt ist es an der Zeit, die exotischen Teile des Klados zu erkunden – die Möglichkeiten, die in den widerwärtigsten Abschnitten des genetischen Programms angelegt sind.
Es ist also an der Zeit, Spürhunde und Abfallbeseitiger ins Leben zu rufen und den »Elementen« neue Funktionen zuzuweisen. Damit sind die biomechanischen Diener gemeint, die das Schiff gehegt und gepflegt haben, während es sich im Laufe der ersten zwanzig Jahre unserer Reise zu einem mächtigen Sternenschiff mit drei Schiffskörpern entwickelte, um schließlich, weit vom Stern der Erde entfernt, die Bosonenantriebe zu zünden.
Zeit, eine neue Seite aufzuschlagen, die eines Alptraums der Zerstörung. Damit einher geht bei mir – bei uns allen – eine härtere Persönlichkeit und eine neue, viel brutalere Lebensgeschichte. Als wir aufbrachen, befand sich die Erde in verzweifeltem Zustand. Sie war alles andere als das soziale und technologische Paradies, als das
sie in unseren früheren Biografien erschien. Nein, sie lag in Trümmern. Überall starben die Menschen. Die Menschheit pumpte ihre letzten Ressourcen in den Bau dieses Rettungsbootes, das zu den Sternen aufbrechen sollte. Wir sind ihre letzte Hoffnung. Doch was uns im Weg steht, ist die Tatsache, dass es sich bei unserem Bestimmungsort um einen Planeten mit indigenem Glibber oder Schleim handelt, den man wohl kaum als intelligentes Leben bezeichnen kann.
Folglich müssen wir jetzt unsere Killer und Abfallbeseitiger hinunterschicken, um diesen Glibber auszurotten, danach unsere biomechanischen Waffen wieder deaktivieren und an deren Stelle andere Teams zum Planeten entsenden …
Was folgt, sind andere Punkte im Klados, andere Seiten im Katalog, die nicht so brutal wirken, allerdings mehr als verworren. Nach und nach dämmert uns, dass der Katalog wie alles andere im Schiffsspeicher 03 beschädigt ist. Wir haben keine Ahnung, welche Bandbreite von Erzeugnissen
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