Das Schiff - Roman
Kontrollinstrumente und der Halbkugel geblieben ist, lauscht auf unsere leisen, vom Mahlen und Dröhnen fast übertönten Stimmen. Plötzlich verstärkt sich das Beben und Vibrieren, als wären wir soeben in eine besonders dichte Staubzone eingetreten. Offenbar verleiht die Reiseleitung ihrem Standpunkt gleich auf doppelte Weise Ausdruck: durch Schweigen und Staubbombardements.
»Weiter zum nächsten Fixpunkt«, sagt mein Zwilling. »Wir müssen denen zeigen, dass es uns ernst ist.«
Ich stimme ihm zu. »Was haben wir schon zu verlieren? Keiner von uns weiß, wie lange das hier noch so weitergehen kann.«
Tsinoy und Tomchin haben inzwischen die Kolben und runden Schüsseln eingesammelt, die unser Essen und Trinken enthielten, und sie in einem grauen Beutel
verstaut. Als sie sich wieder zu uns gesellen, möchte Tomchin offenbar gern Fragen stellen, aber wir können seine Heultöne nicht richtig deuten – bei diesem Lärm schon gar nicht –, so dass er die Hände schließlich resigniert in die Luft wirft.
Tsinoy wirkt nachdenklich. »Ich kann zwar nichts mit Sicherheit sagen«, bemerkt sie, »aber die Staubund Gasdichte da draußen kann ich geradezu spüren . Sie ist zwar relativ dünn, aber wir bewegen uns sehr schnell. Und es könnten auch größere Brocken auftauchen. Falls wir auf einen aufprallen, wird es uns in Stücke zerreißen.«
»Wie viel Zeit gibst du uns denn noch?«, fragt Nell.
»Wir haben ja schon einige Stunden überlebt. Ich weiß nur nicht, wie widerstandsfähig die Schiffskörper sind.«
»Die anderen Schiffskörper zählen jetzt nicht«, meint Kim.
»Wir können die Vereinigung aber nicht zu Ende bringen, wenn einer der anderen Schiffskörper schwer beschädigt ist oder sogar ganz ausfällt«, erklärt Nell. »Vielleicht warten die genau darauf: dass wir einen der Schiffskörper verlieren.«
»Beschleunige den Vereinigungsprozess«, sage ich. »Kannst du das?«
»Wahrscheinlich nicht, aber zumindest kann ich den nächsten Fixpunkt ansteuern. Bis dahin suchen wir uns einen sicheren Ort und gehen in Deckung. Soweit ich den Prozess vom Programm her beurteilen kann, bereiten sich Teile unseres Schiffskörpers bereits auf die Vereinigung vor.«
»Vielleicht bekommt der Schiffskörper dadurch eine geschmeidigere aerodynamische Form«, überlegt Kim, aber Tsinoy und Nell sind nicht davon überzeugt.
»Also los«, fordere ich Nell auf.
»Los«, wiederholt mein Zwilling.
Nell vertieft sich in das Programm, eine Weile hören wir nichts von ihr. Ihre Augen sind fast geschlossen, wie bei einer dösenden Katze, so dass nur eine kleine Sichel der Lederhaut zu sehen ist. Draußen hat sich das Tosen des Sturms in der Tonlage verändert, allerdings weder zu- noch abgenommen.
»Wohin sind die Mädchen verschwunden?«, fragt mein Zwilling.
»Wahrscheinlich suchen sie ihre Mutter«, erwidert Kim in unserem Rücken. »Uns hat sie sich noch immer nicht vorgestellt.«
»Wer ist diese ›Mutter‹ eigentlich? Und wie sieht sie aus?«, fragt Nell. »Hat irgendjemand vielleicht etwas gesehen, das uns einen Hinweis geben könnte?«
Dabei fällt mir die mit Blut gemalte Skizze ein, die eines der Mädchen in dem Schacht an der Außenbordseite hinterlassen hat. Vermutlich war es die Kleine, die mir zum Leben verholfen hat. »Vielleicht ist es gar nicht so gut, wenn wir Mutter tatsächlich begegnen«, sage ich.
Die Geräusche da draußen sind in den letzten Sekunden zu einem Flüstern abgeebbt, gleich darauf herrscht nahezu absolute Stille. Jetzt können wir wieder miteinander reden, ohne brüllen zu müssen, und nachdenken, ohne dabei mit den Zähnen zu knirschen.
»Wir haben wieder einen Schutzschild!«, ruft Nell. »Er neigt zwar zu einer Seite, aber er ist eindeutig da. Die Reiseleitung gibt nach!« Aber sie klingt nicht so, als wäre sie davon überzeugt.
Wir umringen sie und halten uns dabei an den Seilen und einer Stange neben dem Kontrollterminal fest. Uns ist klar, dass wir nicht alle gleichzeitig die Hände neben Nells auf die Halbkugel legen dürfen, denn dann funktioniert das Display nicht. Es dürfen nicht mehr als drei Personen davor stehen.
Tsinoy lassen wir als Erste heran. Der Spürhund – von dem wir jetzt wissen, dass es eine Spür hündin ist – verhält sich völlig still, mal abgesehen von den Schauern, die ihre zusammengekrümmten, auf der Halbkugel ruhenden Pfoten durchlaufen. Sie hat die Wirbel eingezogen, um Nell nicht anzustoßen, die immer noch den Blick einer dösenden
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