Das Schlangennest
hob die Schultern. "Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen", gestand sie. "Wissen Sie, schon als Kind faszinierte mich unser Familienschmuck, aber ich hatte niemals Gelegenheit, ihn zu tragen. Der Schmuck wird stets von der Mutter auf den ältesten Sohn vererbt, der ihn an seine Frau weite rgibt."
"Sie hätten Laura bitten können, Ihnen hin und wieder ein Stück zu leihen", sagte Daphne. "Wie ich meine Schwester kenne, hätte sie es getan."
"Laura vielleicht, aber mein Bruder wäre nicht damit einverstanden gewesen. Was Tradition betrifft, so war er darin sehr eigen." Claudine nahm das Collier ab. "Dieses Stück zum Beispiel, ist seit vielen Generationen in unserer Familie. Einer unserer Urahnen brachte die Steine von einer Expedition aus Indien mit. Es heißt, sie hätten einst einer Göttin gehört."
Daphne nahm ihr das Collier aus der Hand und legte es in den Schmuckkasten zurück. Ihre Schwester hatte nur selten Schmuck getragen und so waren ihr die meisten Stücke, die dort zwischen rotem Samt lagen, unbekannt.
"Ich werde den Schmuckkasten wieder im Safe einschließen", sagte Richards Schwester und erhob sich.
"Sie besitzen einen Schlüssel zum Safe meiner Schwester?" Daphne sah Lauras Schwägerin fassungslos an. "Weiß sie davon?"
Mrs. Forest hob die Schultern. "Richard hat mir vor drei Jahren den Schlüssel gegeben." Sie lachte kurz auf. "Sie kennen doch Ihre Schwester. Sie verlegt ständig etwas und findet es später nicht wieder. Mein Bruder wollte einfach sichergehen, daß man jederzeit an den Schmuck kann."
Daphne glaubte ihr kein Wort. Wenn Richard seiner Schwester nicht einmal gestattet hatte, hin und wieder ein Stück des Famil ienschmuckes zu tragen, dann hatte er ihr auch ganz gewiß keinen Schlüssel zu diesem Safe gegeben. Am liebsten hätte sie Claudine den Schlüssel abgenommen, doch sie wollte es auf keinen offenen Kampf ankommen lassen. Es gab wichtigere Dinge als den Schmuck.
"Hätten Sie Lust, mit mir noch etwas hinunter in den Salon zu gehen?" fragte Claudine. Sie warf einen Blick zu der Uhr, die über dem Kamin hing. "In zehn Minuten kommt eine sehr spannende Show im Fernsehen."
"Ich bin sehr müde, Claudine", entschuldigte sich Daphne, weil sie nicht die geringste Lust verspürte, den Abend im Kreise der Familie zu beenden. "Ich hatte nur noch einmal nach den Kindern sehen wollen."
"Das habe ich vorhin auch getan", sagte Claudine. "Ich liebe die beiden sehr. Als Robert geboren wurde, platzte unser Vater fast vor Stolz. Er war damals bereits dreiundneunzig. Wenige M onate später starb er an Herzversagen. Aber er hatte wenigstens noch erleben dürfen, daß es in direkter Linie einen Erben für Hammond Hall gibt."
"Ihr Vater muß sehr spät geheiratet haben", bemerkte Daphne hellhörig. In Gedanken begann sie zu rechnen. Richard war bei Roberts Geburt ja auch bereits vierundvierzig gew esen.
"Ja, Vater heiratete sehr spät", bestätigte Claudine. "Er und meine Mutter lernten sich an seinem achtundvierzigsten Geburt stag kennen. Eigentlich hatte niemand mehr damit gerechnet, daß er überhaupt heiraten würde. Es muß ein ziemlicher Schlag für Mortimer gewesen sein, als Richard zur Welt kam. Sicher hatte sich Mortimer schon als Erben des Besitzes gesehen. Mein verstorbener Onkel Edward war sein Vater."
So hing das also alles zusammen. Laura hatte nur selten über die Familie gesprochen. Die einzelnen Verwandtschaftsgrade der Hammonds und Forests hatten sie nie interessiert. "Hat Mortimer es Richard spüren lassen?" fragte D aphne.
"Vergessen Sie nicht, ich war damals noch nicht auf der Welt", erinnerte Mrs. Forest. "Ich bin sieben Jahre jünger als Richard. Soweit ich mich erinnern kann, war Mortimer immer nett zu uns Kindern. Allerdings bekamen wir ihn nur selten zu Gesicht. Er studierte und ließ sich später in Oxford nieder. Erst nach dem Tod seiner Frau zog mein Cousin wieder nach Hammond Hall. Als dann sein Sohn und seine Schwiegertochter bei einem Flugze ugabsturz ums Leben kamen, nahm er noch Isabel zu sich. Sie war damals gerade fünf Jahre alt. Es..." Claudine unterbrach sich. "Ich rede und rede und dabei wollte ich mir doch die Show ansehen. Falls Sie sich für unsere Familiengeschichte interessieren, können Sie gerne in der Chronik lesen. Ich werde Sie Ihnen morgen geben."
Gemeinsam verließen sie Lauras Zimmer. Niedergeschlagen schloß Daphne die Tür hinter sich. Sie wünschte sich nichts seh nlichster, als daß ihre Schwester endlich wieder ihren Platz auf
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