Das Schlangennest
Leitung. Erschrocken zuckte sie zusammen. Hatte etwa jemand ihr Gespräch mitgehört?
Bedächtig legte sie den Hörer auf die Gabel und verließ die B ibliothek. Draußen in der Halle begegnete ihr Thomson. Daphne hätte ihn gerne gefragt, ob es im Haus ein Telefon gab, von dem aus die Gespräche in der Bibliothek mitgehört werden konnten, aber da er ohnehin gegen sie war, nickte sie ihm nur kurz zu und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf. Sie wollte sich das Telefon im Schlafzimmer Sir Richards ansehen.
Die Suite des ermordeten Hausherrn lag abseits der Räume, die seine Frau und seine Kinder bewohnten. Daphne zögerte, bevor sie den Gang betrat, der zum Schlafzimmer ihres Schwagers führte. Es kam ihr vor, als würde sie etwas Verbotenes tun. Sie hoffte, niemanden in diesem Teil des Hauses zu begegnen.
Es überraschte die junge Frau, daß sich die Schlafzimmertür mühelos öffnen ließ. Sie hatte bereits befürchtet, daß Richards Suite abgeschlossen sein würde. Wie es aussah, war erst am Morgen im Schlafzimmer geputzt worden. Es duftete nach Bohnerwachs und Möbelpolitur, jedoch auch leicht nach einem blumigen Parfüm. Eines der drei Fenster stand weit offen.
Daphne entdeckte sofort das Telefon. Es stand auf dem Nach ttisch, neben dem breiten, sehr alten Bett. Sie griff nach dem Hörer und hob ihn hoch. Das Freizeichen ertönte. Nachdenklich blickte sie auf die Tastatur. Wie es aussah, konnte von diesem Apparat aus jeder andere im Haus überwacht werden.
Du solltest vorsichtiger sein, dachte sie und ließ sich ihr G espräch mit Mr. Lancaster noch einmal durch den Kopf gehen. Wer immer sie belauscht hatte, er wußte jetzt nicht nur, daß Earl Forest hohe Wettschulden hatte, sondern auch, daß sie ihn auch verdächtigte, seinen Onkel betrogen zu haben.
Daphne trat tief in Gedanken ans Fenster. Von diesem Zimmer aus konnte man bis zum Strand hinuntersehen. Als sie ihren Blick zum Wasser gleiten ließ, entdeckte sie nahe den Felsen eine dunkle Gestalt. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie erkannte, daß es sich um Earl Forest ha ndelte.
Was tat der Verwalter um diese Tageszeit unten am Strand? Sie überlegte, ob er auf jemanden wartete. Im selben Moment en tdeckte sie Isabel. Die junge Frau kletterte den schmalen Pfad hinunter, der zum Meer führte. Earl ging ihr entgegen und zog sie in den Arm.
Daphne wandte sich der Tür zu. Zu dumm, daß ihr Gespräch mit Bert Lancaster belauscht worden war. Sie nahm sich vor, ihren Chef von der Stadt aus anzurufen, um ihm zu sagen, daß sie sich in Zukunft bei ihm melden würde. Noch einmal durfte eine dera rtige Panne nicht passieren.
Ich bin gespannt, was Ralph zu Earls Wettschulden sagt, dachte sie, als sie zur Treppe ging. Die Kinder waren unten im Park. Sie wollte vor dem Lunch noch etwas mit ihnen spielen. Vielleicht schaffte sie es sogar, ein Lächeln auf Joyces Gesicht zu zaubern.
Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts Mortimer Hammond vor ihr auf. Erschrocken zuckte sie zusammen. "Wo kommen Sie denn her, junge Dame?" fragte er und wies mit seinem Stock gegen ihre Brust. "Was haben Sie hier verloren? Liegt Ihr Zimmer nicht auf der entgegengesetzten Seite?"
"Ich glaube kaum, daß das Sie etwas angeht, Mister Ha mmond", erwiderte Daphne. "Ich kann mich in diesem Haus genauso frei bewegen wie Sie." Sie streckte ihr Kinn vor. "Es gehört Robert, wie Sie sehr wohl wissen."
"Es gefällt mir nicht, daß Sie ständig herumschnüffeln", sagte Mortimer Hammond unbeeindruckt. "Überall müssen Sie Ihre Nase hineinstecken." Er stützte sich schwer auf seinen Stock. "Denken Sie immer daran, daß zuviel Neugier meistens schadet. Ich habe zwar nichts für Sie übrig, doch es würde mir leid tun, wenn Hammond Hall Ihretwegen wieder in die Schlagzeilen k äme." Brummend ging er weiter.
Seine Worte hatten wie eine Warnung geklungen. Sollte Mo rtimer ihr Gespräch mit Mr. Lancaster belauscht haben? Daphne umklammerte das Treppengeländer. Eine plötzliche Kälte ließ sie erschauern. Sir Richard war von einem seiner Verwandten ermordet worden. Und wer einmal gemordet hatte, schreckte sicher nicht vor einem zweiten Mord zurück.
14.
Während der Fahrt in die Stadt und auch danach kam Daphne nicht dazu, mit Ralph Gregson über ihr Telefonat mit Bert La ncaster zu sprechen. Immerhin war Joyce bei ihnen, und was sie zu besprechen hatten, ging das kleine Mädchen nichts an. In seiner Gegenwart gaben sie sich betont fröhlich. Joyce mußte wieder lernen, Freude am
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