Das Schlangennest
Sie blickte zum sternenübersäten Himmel hinauf. "Die Welt könnte so schön sein", meinte sie aus ihren Gedanken heraus.
"Die Welt ist schön", antwortete Ralph und nahm ihren Arm. "Die Menschen sind nur zu dumm, ihre Schönheit zu genießen." Er führte die junge Frau zu den Klippen. Das Rauschen der Brandung erfüllte die Luft. Irgendwo weit draußen auf dem Meer tutete eine Schiffssirene.
"Sie haben recht", meinte Daphne. Sie spürte das Verlangen, sich an seine Schulter zu schmiegen. Es fiel ihr schwer, zu wide rstehen.
"Mein Vater hat seinen Schock noch immer nicht überwu nden", bemerkte ihr Begleiter. "Er hat seine Meinung über die Familie gründlich revidieren müssen. Etwas, was ihm nicht gerade leichtgefallen ist. Auch wenn er es bis jetzt nicht zugibt, ich bin überzeugt, daß er inzwischen darüber nachdenkt, ob Ihre Schwester nicht wirklich unschuldig ist."
"Sie ist es."
"Das wissen wir."
Daphne blieb stehen. Sie sah ihn überrascht an. "Klingt, als würden auch Sie nicht mehr daran zweifeln", meinte sie. Ihre A ugen strahlten vor Freude.
"Ich bin inzwischen auch überzeugt, daß Ihre Schwester die Wahrheit gesagt hat", gab er zu und umfaßte ihre Schultern. "Und das hängt nicht nur damit zusammen, weil ich mich in Sie verliebt habe, Daphne." Er hob eine Hand und strich ihr sanft die Haare aus der Stirn. "Ja, ich habe mich in Sie verliebt."
"Wir kennen uns kaum", meinte die junge Frau verlegen. Sie hatte nicht mit einem derartigen Bekenntnis gerechnet. Plötzlich fühlte sie sich wie ein Teenager, der zum ersten Mal zu einem Rendezvous eingeladen wird.
"Sagen Sie das nicht, Daphne. Während der letzten Tage hatte ich genügend Gelegenheit Sie kennenzulernen. Mir kommt es manchmal vor, als wären wir sogar zusammen aufgewachsen." Zärtlich strich er mit dem Zeigefinger über ihr Gesicht. "Sie sind genauso liebenswert wie es Ihre Schwester sagte."
"Laura hat über mich gesprochen?"
"Ja." Ralph nickte. "Sie hat mir sogar erzählt, weshalb Ihr V ater seine Töchter Laura und Daphne genannt hat."
"Meine Mutter hat oft mit uns darüber gelacht. Mein Vater liebte Lorbeerbäume über alles. Deshalb benannte er seine Töchter auf italienisch und auf griechisch nach diesen Bäumen." Wehm ütig schaute die junge Frau aufs Meer hinaus. "Unsere Eltern sind viel zu früh gestorben." Sie wandte sich ihm wieder zu und berichtete ihm vom Anruf ihres Chefs. "Earl zählt ja ohnehin zu meinen Hauptverdächtigen. Aber wie es aussieht, hatte er einen guten Grund meinen Schwager zu ermorden. Vielleicht ist Sir Richard hinter seine Betrügereien gekommen."
"Er könnte auch dahintergekommen sein, daß ihn Isabel mit Earl betrügt", sagte Ralph. "Scheinbar hatte ja Ihr Schwager mit seiner Großcousine ein Verhältnis. Jedenfalls hat Mistreß Forest gestern so etwas ang edeutet."
"Das deckt sich auch mit Lauras Vermutung", sagte Daphne. "Ihr Vater erwähnte, daß Sir Richard noch kurz vor seiner Ermo rdung ein neues Testament abfassen wollte. Die Frage ist, wer wußte davon? Sein Telefonat mit Ihrem Vater könnte belauscht worden sein." Sie sprach von ihrem Verdacht, daß ihr Gespräch mit Bert Lancaster ebenfalls abgehört worden war. "Aus diesem Grund war ich im Schlafzimmer meines Schwagers. Von dem Apparat, der auf dem Nachttisch steht, kann man alle anderen überwachen."
Ralph Gregson atmete tief durch. "Ich mache mir Sorgen um Sie, Daphne. Sie sollten lieber die Nachforschungen Leuten übe rlassen, die dafür ausgebildet sind."
"Etwa der Polizei?" Die junge Frau lachte auf. "Wie gut die Polizei in diesem Fall bisher gearbeitet hat, wissen wir ja. Nur weil Lauras Fingerabdrücke auf dem Brieföffner sind und sie i hnen eine etwas verworrene Geschichte erzählte, lastet man ihr den Mord an ihrem Mann an." Sie schüttelte den Kopf. "Nein, Ralph, ich muß selbst etwas unternehmen. Wahrscheinlich bin ich sogar die einzige, die etwas unternehmen kann, da ich auf Hammond Hall lebe."
"Ich kann Sie sehr gut verstehen", meinte Ralph resignierend. "Ich würde nicht anders handeln." Er legte seine Hände auf ihre Schultern. "Aber bitte, versprechen Sie mir, sehr, sehr vorsichtig zu sein, Daphne. Ich habe Angst, Sie zu verlieren. Ich wünschte, ich könnte hier an Ihrer Stelle sein und müßte Sie nicht ständig alleine lassen."
"Ich werde vorsichtig sein", versprach die junge Frau.
Ralph antwortete ihr nicht. Er blickte ihr nur in die Augen. Plötzlich zog er sie impulsiv an sich. Seine Lippen streiften ihre Wa
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