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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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holen.
    »Gleich, Tikkirej, irgendwo hier muss er sein...«, murmelte sie. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, der Safe war weit oben angebracht.
    Ich wusste nicht, warum es aus mir herausdrängte, als ich bemerkte: »Aber Sie sind normal.«
    Das Mädchen hörte für einen Augenblick auf, im Safe herumzukramen. Dann fand sie den Umschlag und reichte ihn mir:
    »Und du bist auch nicht hirnamputiert, Tikkirej.«
    »Hirnamputiert?«
    Sie nickte. »So nennen wir die, die in der Nacht des Überfalls eingeschlafen sind. Hirnamputierte...«
    Ich erstarrte. Ich stand da und blickte Anna an. Sie sah nicht wie ein feindlicher Agent aus. Aber auch nicht wie eine Untergrundkämpferin. Endlich fragte ich: »Wer ist das: Wir?«
    »Die, die nicht eingeschlafen sind. Ungefähr jeder Zehnte«, erläuterte Anna. »Der Besitzer des Motels, Mister Parkins, ist auch kein Hirnamputierter. Und unser Elektriker...«
    »Also, Sie...« Ich war ganz durcheinander. »Und was machen Sie alle?«
    »Wir leben.« Sie lächelte. »Tikkirej, hab keine Angst. Hier passiert nichts Schlimmes. Nur dass der größte Teil der Leute Untertanen des Inej geworden sind. Na und?«
    »Wie ›Na und‹?«, regte ich mich auf. »Sie sind doch jetzt alle ganz anders!«
    Anna holte Luft und zeigte mit ihren Augen auf das Sofa. Ich nahm Platz und sie setzte sich neben mich.
    »Tikkirej, vielen hat es gutgetan. Ich habe zum Beispiel einen Freund, er... Na ja, früher haben wir uns oft gestritten. Wegen jeder Kleinigkeit...« Sie wirkte unsicher. »Dafür ist jetzt bei uns alles in Butter. Viel besser als früher! Und meine Eltern wollten sich scheiden lassen, Vater wollte eine zweite Frau nehmen, Mutter war dagegen. Jetzt verstehen sie sich wieder.«
    »Deine Mutter ist nicht mehr dagegen?«, fragte ich bösartig. Es war mir unverständlich, woher meine Wut kam.
    Nun wurde es Anna zu viel: »Tikkirej! Wie kannst du nur!?«
    »Entschuldigen Sie«, murmelte ich.
    »Die Vielweiberei wurde bei uns abgeschafft«, erläuterte Anna. »Und überhaupt lieben sich jetzt alle: Die Ehemänner lieben ihre Ehefrauen und die Ehefrauen ihre Ehemänner. Die Säufer haben aufgehört zu trinken. Die Kinder schwänzen nicht mehr die Schule. Derjenige, der Bestechungsgelder nahm, hat sich dazu bekannt; wer keine Steuern gezahlt hat, hat dem Staat seine Schulden überwiesen.«
    »Aber das ist doch alles aufgezwungen!«, schrie ich fast. »Die Leute haben eine Gehirnwäsche erhalten, verstehen Sie das denn nicht?«
    »Das war irgendeine Waffe«, stimmte Anna zu, »die auf Inej entwickelt wurde. Sicherlich! Na und? Ist das nicht egal? Ist es nicht egal, Tikkirej, wer bei den Menschen der Höchststehende ist, der Imperator oder Inna Snow? Also mir ist das völlig egal. Hauptsache, mein Freund nimmt keine Drogen. Und Vater und Mutter streiten sich nicht. Und die Menschen achten sich gegenseitig!«
    »Wenn es eurer Inna Snow morgen einfallen sollte, dass alle auf den Händen laufen und Spinnen essen müssen, wären Sie dann auch einverstanden?«
    Anna lachte nur: »Tikkirej, ihr habt euch im Wald Schauergeschichten ausgedacht. Inna Snow ist eine intelligente Frau. Niemand macht etwas Schlechtes. Das Imperium dagegen...«
    »Es wird also Krieg gegen das Imperium geben, oder ist das auch eine Schauergeschichte?«, wollte ich wissen.
    »Es wird überhaupt keinen Krieg geben«, erwiderte Anna überzeugt. »Alle Planeten werden sich Inej anschließen. Nach und nach. Wir werden eine Herrscherin an Stelle des Imperators haben. Die Menschen werden sich besser zueinander verhalten. Und mehr nicht. Wenn es doch einen Krieg geben sollte, dann wird es ein gewaltloser.«
    Ich neigte zweifelnd meinen Kopf. Sie verstand gar nichts. Niemand sah sich mehr die hinterhältigen Fernsehserien vom Inej an. Die Radioshunts waren jetzt bei allen blockiert. Die Wissenschaftler suchten nach einem Weg, um die »Hirnamputierten« zu heilen. Also wird es Krieg geben.
    »Tikkirej, warum schaust du so beleidigt?« Anna tätschelte meinen Kopf. »Wenn du in die Stadt fährst, wirst du selbst sehen, wie positiv sich alle verändert haben.«
    »Sie können mich ruhig verpfeifen«, sagte ich, »aber es war trotzdem ein hinterhältiger Überfall!«
    »Ich habe nicht vor, dich anzuschwärzen«, meinte Anna wieder ganz fröhlich. »Ich bin ja nicht hirnamputiert. Obwohl denen eigentlich alles egal ist. Benimm dich normal – und du wirst keine Schwierigkeiten bekommen.«
    Die Tür wurde geöffnet.
    »Tikkirej!«, rief Lion

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