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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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verstummte und schaute auf die Indikatoren.
    »Was ist passiert?«, fragte ich kläglich.
    »Tikkirej, das ist nicht nur Dauerbetrieb, das ist ein Wasserfall...«
    »Geht es ihm schlecht?«
    »Er hat großes Pech.«
    Stasj nahm meine Hand: »Er arbeitet um drei Ordnungen intensiver als unter Dauerbetrieb. Nun ja, er muss ja auch keine Informationen mit der Außenwelt austauschen. Tikkirej, in einigen Stunden wird dein Freund hilflos sein wie ein Mensch nach zwei bis drei Jahren unter Dauerbetrieb.«
    »Kapitän Stasj...«
    »Seit vierzig Jahren bin ich Stasj. Tikkirej, ich weiß nicht, was wir machen sollen.«
    »Kann man ihn bremsen? Beruhigen?«
    »Er schläft ja schon, Tikkirej. Um die Arbeit des Gehirns zu unterbrechen, müsste man ihn töten.«
    »Anabiose!«, rief ich, »haben Sie eine Kammer?«
    »Ja. Aber auf die Anabiose muss man sich fast einen Tag lang vorbereiten. Man kann ihn nicht einfrieren.«
    Hier merkte ich selbst, dass ich einen blödsinnigen Vorschlag gemacht hatte. Damit ein Mensch die Anabiose überlebt, damit er nicht mit »Eiszapfen an den Wimpern« herumliegt, muss das gesamte Wasser im Organismus gebunden werden, indem man es mit speziellen Zusätzen versieht. Auf die Anabiose bereitete man sich mindestens zehn Stunden lang vor.
    »Also dann wird er schwachsinnig?«, fragte ich.
    »Er wird so, wie ihn Inej braucht.« Stasj richtete sich auf und breitete die Arme aus: »Das ist etwas anderes. Die Veränderung des Bewusstseins ist dem Dauerbetrieb ähnlich, aber doch anders.«
    Ich streichelte Lions Hand, sah Stasj an und bat: »Schließen Sie ihn auf Dauerbetrieb an und überhäufen Sie ihn mit Rechenoperationen. Irgendwelchen.«
    »Wie bitte?«, Stasj verdüsterte sich.
    »Vielleicht wird die eine Aufgabe die andere verdrängen?«
    Stasj wich zurück und schaute mit leichtem Zweifel auf Lion.
    »Und wenn ihn das umbringt? Bist du bereit, für deinen Freund zu entscheiden?«
    »Ich bin bereit«, bestätigte ich, und das waren die schwerwiegendsten Worte, die ich jemals ausgesprochen hatte.
    »Tikkirej, ich habe bisher noch niemals mit Modulen gearbeitet...« Stasj hob die Hände. »Kannst du ihn festschnallen?«
    »Sicher. Ich habe selbst so dagelegen.«
    Nach einigen Minuten war Lion von einer durchsichtigen Haube bedeckt. Stasj setzte sich ans Steuerpult und schloss lässig sein eigenes Kabel an. Das Schiff schien zu erbeben – mit einem Mal begannen alle bis dahin ruhenden Geräte zu funktionieren. Stasj’ Augen schienen wie von einem Tuch verhüllt zu sein – jetzt war er das Schiff, fühlte jeden Geräteblock, jedes Kabel und jeden Prozessor.
    »Setz dich, schnall dich an, schließ das Kabel an«, sprach Stasj langsam und gepresst, »wir bereiten uns auf den Start vor, Tikkirej.«
    Ich warf mich in den Sitz, der sich langsam an meinen Körper anpasste, und befestigte die Sicherheitsgurte, die sich sofort ausdehnten und mich umschlangen. Ich wusste lediglich aus Filmen, wie man sich in einem echten Pilotensessel zu benehmen hatte. Bis jetzt ging alles gut.
    »Geh online...«, sagte Stasj schwerfällig, »ich gebe dir das Außenpanorama, versuche, dich darauf einzustellen.«
    Nachdem ich die Haare zurückgestrichen hatte, loggte ich mich in das Bildverarbeitungssystem ein. Und atmete hörbar ein, denn vor mir breitete sich eine vollkommen neue Welt aus.
    Der Navigationsraum des Raumschiffes verschwamm und löste sich auf. Mir war so, als ob ich aus einer Höhe von zehn Metern gleichzeitig in alle Richtungen schaute. Ich sah sowohl die Stadt in der Ferne als auch die Menschen, die langsam die Tragen zu einem riesigen Passagierliner schoben, und weitere Raumschiffe – leblos, wie tot.
    Außerdem gab es nebenan etwas Körperliches. Jemand Großes, Freundliches und sehr Beschäftigtes – wie eine Flamme blauen Feuers, die am Rand des Gesichtsfelds loderte.
    An der Peripherie, obwohl ich jetzt in alle Richtungen schauen konnte.
    »Kapitän Stasj?«, flüsterte ich. Und merkte, dass ich gar nicht laut redete.
    »Ja, Tikkirej.« Die Flamme wurde etwas auffälliger. »Ich muss mich konzentrieren, schau dich einfach um, okay?«
    Ich sah mich um. Ich genoss das Geschehen. Es ähnelte ganz und gar nicht dem Anschluss an den Schulcomputer mit seinem bescheidenen Dutzend veralteter Videokameras. Dort glich die Welt einer Flickendecke, hier wurde sie zu einem Ganzen.
    »Schön...«, hauchte ich. Und erschrak: »Stasj, und Lion?«
    »Gleich werde ich ihn einbeziehen.«
    Beruhigt schaute ich mich

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