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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ließ er uns zehn fahren. Danach hatte ich die Zeit verglichen. Fünf Minuten lang war es lustig, dann begannen alle zu schreien und darum zu bitten, dass er das Karussell anhalten sollte. Der Mann tat jedoch so, als ob er uns nicht verstehen würde, winkte uns zu und lächelte. Als er das »Himmelsschiff« endlich anhielt, hatten zwei Jungs nasse Hosen. Laufen konnte niemand, wir mussten abgeschnallt und nach draußen geschleppt werden.
    Einer hatte geheult und damit gedroht, sich bei der Stadtverwaltung zu beschweren. Aber der Betreiber des Karussells meinte, dass wir selber schuld wären. Wir wollten mehr vom Allgemeingut bekommen, als uns zustand. Also erhielten wir eine nützliche Lehre – niemals etwas Überflüssiges einzufordern.
    Wir beschwerten uns nicht.
    Jetzt gab es niemanden, bei dem wir uns hätten beschweren können. Wir wurden gedreht, durcheinandergeschüttelt und - geschaukelt. Ich hätte liebend gern die Augen geöffnet und geschaut, ob es noch weit bis zur Erde war und was sich unter unseren Füßen befand – Wald, Wasser oder Felsen. Aber mit offenen Augen wurde mir noch schlechter...
    Trotzdem fühlte ich die Annäherung an die Oberfläche. Als ob sich etwas in der Bewegung der Kapsel veränderte, vielleicht wurde das Schütteln stärker, vielleicht verlangsamte sich die Drehbewegung.
    Auf einmal schabte etwas an uns – die zirkulierende Kapsel riss Zweige ab. Einige Minuten flogen wir über dem Wald und schnitten die Baumkronen ab wie die Klinge eines riesigen Rasenmähers. Dann drehte sich die Kapsel auf die Seite, knickte Baumstämme, wobei uns jeder Schlag schmerzte, und rollte wie ein Rad durch den Wald. Jetzt öffnete ich die Augen und erblickte gigantische Baumstämme, Gras, dichte Sträucher und einen unergründlich blauen Himmel (waren wir wirklich eben noch da oben?) sowie über dem Wald kreisende Vögel... Die Kapsel rollte, fällte dabei noch einige Bäume, kam zum Stillstand und kippte langsam mit dem Boden nach oben um.
    Wir hingen in unseren Grasgurten. Alles vor unseren Augen war verschwommen und drehte sich, vor uns tanzten helle, bunte Sterne.
    »Lebst du noch?«, fragte Lion leise.
    »Hm...«, erwiderte ich und mir wurde erneut schlecht. In diesem Zustand hingen wir bestimmt noch fünf Minuten. Wir waren nicht fähig, uns zu bewegen.
    Dann begannen wir, die Riemen zu lösen. Es fiel uns schwer, aber wir schafften es. Es gelang uns jedoch nicht, die Luke aufzuschrauben. Sie war von außen zugeschmolzen und hatte sich fest mit dem Körper der Kapsel verbunden.
    »Ich habe schon befürchtet, dass wir in unsere Einzelteile zerlegt werden«, beklagte sich Lion. »Hast du die Berge gesehen? Zehn Kilometer haben gefehlt.«
    »Welche Berge?«
    »Sicherlich die Charitonow-Kette«, sagte Lion nachdenklich. »Das bedeutet, dass wir an der Nordgrenze der Landezone aufgesetzt haben. Nicht schlecht, sogar gut... Dann haben wir es nicht weit.«
    Ich klopfte die Eishülle ab: »Wenn sie nur schmelzen würde!«
    »Wir müssen uns gedulden.« Lion kam mit Mühe und Not in die Hocke und zog den Kopf ein, um sich nicht an der Luke zu stoßen. »Mensch, wie mein Rücken wehtut! Ich habe mich noch ganz zum Schluss gestoßen!«
    »Bei mir scheint alles in Ordnung zu sein...«
    Wir saßen uns gegenüber und schwiegen. Uns war immer noch schwindlig. Und wir wollten natürlich so schnell wie möglich nach draußen.
    Nach ungefähr zehn Minuten fiel mir der erste Tropfen in den Nacken. Das Eis begann zu tauen.
    »Tja, wir werden erfrieren!«, meinte Lion fröhlich.
    Wir erfroren natürlich nicht.
    Der Tropfen verwandelte sich in einen Bach, danach in einen Strom. Das superfeste Eis taute wie ein matschiger Schneeball im warmen Zimmer. Nach zwei Minuten stand uns das Wasser bis zum Knie. Da aber sprang die Kapsel auf und brach in zwei Teile auseinander. Mit einem fröhlichen Aufschrei warfen wir uns ins Freie.
    Unter unseren Füßen knirschte Eis. Am Himmel lärmten die Vögel. Das Tauwasser verteilte sich und wurde von der weichen Grasnarbe aufgesogen. Ein breiter Streifen zog sich zwischen den Bäumen hin, als ob man den Wald gepflügt hätte. Die Luft in unserer Umgebung war gesättigt mit dem Geruch von Harz und Wald, was unsere Stimmung sofort hob. Uns wurde leicht und fröhlich zumute. Wir sprangen um die Kapsel herum, die sich in eine Pfütze verwandelte, schlenkerten mit den Armen und lärmten lauter als die Vögel.
    Wir waren gelandet!
    »Sommer!«, rief Lion fröhlich aus. »Sommer, Sommer,

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