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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Krankenhaus tupften sie mir die Knie mit
Wattebäuschen ab, die sie mit etwas getränkt hatten. Es
brannte. Meine Ellbogen brannten auch.
    Ich lag in einem Krankenbett. Die Sonne schien
durchs Fenster herein, und alles wirkte recht erträglich. Ein Arzt
stand neben dem Bett und lächelte auf mich herunter. Als die
Krankenschwester mit meinen Knien fertig war, richtete sie sich auf und
lächelte mich ebenfalls an. Es war angenehm hier drin. »Hast
du auch einen Namen?« fragte der Arzt. »Henry.«
»Henry was?« »Chinaski.« »Aus Polen,
wie?« »Deutschland.«
    »Warum will eigentlich niemand aus Polen
sein?« »Ich bin in Deutschland geboren.« »Wo
wohnst du?« fragte die Schwester. »Bei meinen
Eltern.«
    »Ach wirklich«, sagte der Arzt.
»Und wo ist das?« »Was ist mit meinen Ellbogen und
meinen Knien?« »Ein Auto hat dich überfahren. Zum
Glück bist du nicht unter die Räder gekommen. Die Zeugen
hatten den Eindruck, daß der Fahrer betrunken war. Er hat
Fahrerflucht begangen. Aber sie haben das Kennzeichen notiert. Man wird
ihn fassen.« »Sie haben eine hübsche
Krankenschwester«, sagte ich. »Oh, vielen Dank«,
sagte sie.
    »Willst du eine Verabredung mit ihr?«
fragte mich der Arzt. »Was ist das?« »Willst du mit
ihr ausgehen?«
    »Ich weiß nicht, ob ich’s mit
ihr machen könnte. Ich bin noch zu jung.« »Was denn
machen?« »Sie wissen schon.«
    »Na«, sagte die Schwester mit einem
Lächeln, »komm doch mal vorbei, wenn deine Knie geheilt
sind, dann werden wir sehen, was sich machen läßt.«
    »Ich muß weiter«, sagte der Arzt, »ich habe noch einen Unfallpatienten.« Er ging hinaus.
»Also«, sagte die Schwester, »in welcher Straße wohnst du?«
»Virginia Road.«
»Sag mir auch noch die Nummer, Schätzchen.«
    Ich sagte ihr die Hausnummer. Sie fragte, ob wir
Telefon hätten. Ich sagte, ich wüßte die Nummer nicht
auswendig.
    »Macht nichts«, sagte sie. »Das
läßt sich ja feststellen. Und mach dir keine Sorgen. Du hast
Glück gehabt. Du hast nur ein paar Abschürfungen und eine
Beule am Kopf.«
    Sie war nett, aber ich wußte, wenn meine Knie erst mal verheilt waren, würde sie mich nicht
wiedersehen wollen.
»Ich will hierbleiben«, sagte ich zu ihr.
    »Was? Soll das heißen, du willst
nicht nach Hause zu deinen Eltern?« »Nein. Lassen Sie mich
hierbleiben.«
    »Das geht nicht, mein Schatz. Wir brauchen
diese Betten für Leute, die richtig verletzt und krank
sind.« Sie lächelte mir noch einmal zu und verließ das
Zimmer.
    Als mein Vater eintraf, kam er stracks ins Zimmer
und holte mich wortlos aus dem Bett. Er trug mich hinaus und den
Korridor hinunter.
    »Du kleiner Bastard! Hab ich dir nicht
beigebracht, daß du in beide Richtungen schauen sollst, bevor du
über die Straße gehst?«
    Im Eilschritt ging es weiter den Korridor hinunter. Wir kamen an der Krankenschwester
vorbei.
»Wiedersehn, Henry«, sagte sie.
»Wiedersehn.«
    Wir bestiegen einen Fahrstuhl, in dem sich
bereits ein alter Mann in einem Rollstuhl befand. Hinter ihm stand eine
Krankenschwester. Der Lift setzte sich in Bewegung. Abwärts.
»Ich glaube, ich muß sterben«, sagte der alte Mann,
»Ich will nicht sterben. Ich habe Angst vor dem Tod
…« »Du hast lang genug gelebt, du alter Furz«,
knurrte mein Vater.
    Der alte Mann sah ihn entgeistert an. Der Lift
hielt, aber die Tür blieb zu. Jetzt erst fiel mir der
Fahrstuhlführer auf. Er saß auf einem kleinen Hocker. Er war
ein Zwerg und trug eine knallrote Uniform mit einer roten Mütze.
    Der Zwerg sah zu meinem Vater hinauf.
»Sir«, sagte er, »Sie sind ein widerlicher
Dummkopf.«
    »Mach die verdammte Tür auf, du
Wichtel«, sagte mein Vater, »oder ich tret’ dich in
den Arsch!«
    Die Tür ging auf. Mein Vater schleifte mich
vollends hinaus und stiefelte quer über den Rasen vor dem
Hospital. Ich hatte immer noch mein weißes Krankenhemd an. Meine
Kleider waren in einer Tüte, die mein Vater in der freien Hand
hielt. Der Wind wehte mir das Nachthemd hoch, und ich sah meine
aufgeschürften Knie, die mit Jod bepinselt waren. Mein Vater
rannte jetzt beinahe.
    »Wenn sie diesen Dreckskerl
festnehmen«, sagte er, »werd’ ich ihn verklagen! Das
kostet ihn seinen letzten Penny! Der wird mich für den Rest seines
Lebens ernähren! Ich hab diese gottverdammte Milchkarre satt!
Golden State Creamery! Jaja, der >goldene Staat< (Beiname des Bundesstaates Kalifornien); - am Arsch! Wir werden uns in die Südsee absetzen und von Ananas und Kokosnüssen leben!«
    Mein Vater

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