Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
und begann mit der ersten Pustel.
»Tut das weh?«
»Es geht.«
»Armer Kerl.«
»Keine Sorge. Es tut mir nur leid, daß Sie das da machen müssen.« »Armer Junge …«
Miss Ackerman war der erste Mensch, der mir Mitgefühl entgegenbrachte. Es war ein
seltsames Gefühl. Sie war eine mollige kleine Person, etwa Anfang dreißig.
»Gehst du zur Schule?« fragte sie.
»Nein. Sie mußten mich rausnehmen.«
Sie drückte weiter und hielt dabei die Unterhaltung in Gang.
»Was machst du so den ganzen Tag?«
»Im Bett liegen.«
»Das ist ja schrecklich.«
»Nein, es ist schön. Mir gefällt es.«
»Tut das weh?«
»Es geht. Machen Sie nur weiter.«
»Warum findest du es schön, den ganzen Tag im Bett zu liegen?«
»Weil ich da niemand sehn muß.«
»Und das tut dir gut?«
»Oh ja.«
»Und mit was vertreibst du dir die Zeit?«
»Ich hör ab und zu Radio.«
»Was hörst du dir an?«
»Musik. Und was sie da so reden.«
»Denkst du auch an Mädchen?«
»Klar. Aber das ist aussichtslos.«
»So was darfst du nicht denken.«
»Ich mach mir Tabellen, in die ich die Flugzeuge eintrage, die übers Haus kommen. Sie kommen jeden Tag zur gleichen Zeit. Ich kenne von jedem den Flugplan. Wenn ich zum Beispiel weiß, daß eins um 11.15 Uhr fällig ist, fang ich so fünf Minuten vorher an zu horchen, ob ich das Motorengeräusch hören kann. Manchmal bilde ich mir nur ein, daß ich es höre, und manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, aber dann höre ich es ganz deutlich, noch aus großer Entfernung. Das Geräusch wird immer stärker, und Punkt 11.15 Uhr ist es dann ganz laut, und das Flugzeug ist direkt über dem Haus.« »Und das machst du jeden Tag?« »Natürlich nicht, wenn ich hier bin.« »Jetzt dreh dich mal um«, sagte Miss Ackerman.
Ich drehte mich auf den Rücken. Im angrenzenden Raum begann ein Mann zu schreien.
Nebenan war die Psychiatrie. Es waren gellende Schreie.
»Was machen sie mit dem?« fragte ich.
»Er wird geduscht.«
»Und da schreit er immer so?«
»Ja.«
»Ich bin schlimmer dran als der.«
»Nein, das bist du nicht.«
Ich mochte Miss Ackerman. Ich beobachtete sie verstohlen aus den Augenwinkeln. Sie hatte ein pausbäckiges Gesicht und war nicht sehr hübsch, aber ihr Häubchen saß schräg und keck auf ihrem Kopf, und sie hatte große dunkelbraune Augen. Die gefielen mir besonders. Als sie zum Müllschlucker ging, um einige verschmutzte Kleenex hineinzuwerfen, sah ich ihr nach. Nun, sie war keine Miss Gredis, und ich hatte schon allerhand Frauen mit einer besseren Figur gesehen, aber sie hatte so etwas Herzliches an sich. Und sie rieb einem ihre Weiblichkeit nicht ständig unter die Nase. »Wenn ich mit deinem Gesicht fertig bin«, sagte sie,
»gebe ich dir die Bestrahlung. Dein nächster Termin ist übermorgen um 8.30 Uhr.« Während sie mit meinem Gesicht beschäftigt war, gab es keine Gelegenheit zu weiterer Unterhaltung.
Schließlich war sie fertig. Ich band mir die Augenklappen um, und Miss Ackerman stellte den Bestrahlungsapparat an.
Ich hörte ein tickendes Geräusch, das eine friedliche Stimmung verbreitete. Vielleicht war es die eingebaute Uhr. Oder der Reflektor der Lampe, der heiß wurde. Es war tröstlich und entspannend, doch als ich über die Sache nachdachte, kam ich zu dem Ergebnis, daß alles sinnlos war, was sie hier mit mir machten. Ich sagte mir, daß ich bestenfalls für den Rest meines Lebens eine vernarbte Haut haben würde. Das war schon schlimm genug, aber was mich noch mehr störte, war die Tatsache, daß sie nicht wußten, was sie mit mir anstellen sollten. Ich spürte es an ihren Diskussionen und ihrem ganzen Verhalten. Sie waren unschlüssig und unsicher, aber auch gleichgültig und gelangweilt. Letzten Endes war es egal, was sie taten. Irgend etwas mußten sie eben tun, denn gar nichts zu tun, wäre unprofessionell gewesen. Sie experimentierten an den mittellosen Patienten herum, und wenn etwas klappte, dann wandten sie es auch bei den Reichen an. Und wenn es schief ging, gab es ja immer noch mehr mittellose Patienten, an denen man herumexperimentieren konnte.
Der Apparat schnarrte. Die zwei Minuten waren um. Miss Ackerman kam herein und sagte mir, ich solle mich auf den Bauch legen. Sie stellte den Apparat wieder an und ging. Sie war der freundlichste Mensch, der mir seit acht Jahren begegnet war.
32
Das Anbohren und Ausdrücken zog sich mehrere Wochen hin, doch es nützte wenig. Sobald eine Pustel verschwand, erschien schon wieder eine neue. Oft stand ich vor dem
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