Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
bestellt.«
»Jeder hier ist auf 8.30 Uhr bestellt.«
Es warteten 45 oder 50 Leute.
»Na, ich steh ja auf der Liste - wie wär’s, wenn ich in zwei Stunden wiederkomme? Vielleicht sind bis dahin ein paar Ärzte da.«
»Wer jetzt weggeht, verliert automatisch seinen Termin und muß morgen wiederkommen. Falls er dann noch will.«
Ich ging zurück zu meinem Stuhl und setzte mich wieder hin. Von den anderen beschwerte sich keiner.
Es tat sich sehr wenig. Ab und zu kamen lachend zwei oder drei Krankenschwestern vorbei. Einmal schoben sie einen Mann in einem Rollstuhl durch den Korridor. Seine Beine waren dick mit Mullbinden umwickelt, und an der mir zugewandten Seite des Kopfes hatte er kein Ohr mehr. Man sah nur ein schwarzes Loch, das mit feinen Verästelungen gefüllt war. Als sei ihm eine Spinne hineingekrochen und habe ein Netz gesponnen. Die Stunden vergingen. Es wurde Mittag, ein Uhr, zwei Uhr. Wir saßen da und warteten. Dann sagte jemand: »Da kommt ein Doktor!«
Der Arzt ging in eines der Behandlungszimmer und machte die Tür hinter sich zu. Wir sahen gespannt hin. Nichts. Eine Schwester ging hinein. Wir hörten sie lachen. Dann kam sie wieder heraus. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Der Arzt kam heraus und hatte eine Liste in der Hand. »Martinez?« rief er. »Jose Martinez?«
Ein alter ausgemergelter Mexikaner stand auf und ging mühsam zu ihm hin.
»Martinez? Martinez, alter Junge, wie geht’s uns denn so?«
»Schlecht, Doktor. Ich glaube, ich muß sterben …«
»Na, na. Kommen sie mal hier rein …«
Martinez blieb sehr lange drin. Ich hob eine alte Zeitung vom Boden auf und versuchte sie zu lesen. Doch wir dachten alle an Martinez. Wenn er da wieder herauskam, würde einer von uns an die Reihe kommen.
Dann hörten wir Martinez schreien. »Aua! Aaauuuu! Hören Sie auf! Aaauu! Aufhören! Bitte
hören Sie auf!«
»Na, na, das tut doch gar nicht weh«, sagte der Arzt.
Martinez schrie weiter. Eine Schwester rannte hinein. Es wurde still. Wir konnten nicht sehen, was drinnen vorging. Wir sahen nur den schwarzen Schatten der halb offenen Tür. Dann rannte ein Krankenpfleger rein. Martinez machte ein gurgelndes Geräusch. Sie rollten ihn auf einer Bahre heraus, schoben ihn im Eilschritt den Korridor hinunter, durch eine Schwingtür nach der anderen. Martinez lag unter einem Laken, aber tot konnte er noch nicht sein, denn sie hatten ihm das Laken nicht übers Gesicht gezogen.
Der Arzt blieb zehn Minuten allein im Behandlungszimmer. Dann kam er wieder mit seiner
Liste heraus.
»Jefferson Williams?«
Niemand reagierte.
»Ist Jefferson Williams hier?«
Keine Antwort.
»Mary Blackthorne?«
Keine Antwort.
»Harry Lewis?«
»Ja, Doktor.«
»Kommen Sie bitte …«
Es ging sehr langsam voran. Der Arzt nahm noch fünf weitere Patienten dran. Dann kam er heraus, ging an den Schreibtisch, zündete sich eine Zigarette an und unterhielt sich eine Viertelstunde mit der Schwester. Er wirkte recht intelligent. Er hatte einen nervösen Tick - die ganze rechte Gesichtshälfte zuckte. Sein rotes Haar hatte einige graue Strähnen. Er trug eine Brille, die er ständig auf- und absetzte. Eine Schwester kam und brachte ihm eine Tasse Kaffee. Er nippte daran, stieß mit der freien Hand die Schwingtür auf und verschwand. Die andere Schwester kam mit unseren langen weißen Karten hinter ihrem Schreibtisch hervor und rief unsere Namen auf. Wir bekamen unsere Karten zurück. »Für heute ist Schluß. Bitte kommen Sie morgen wieder, wenn Sie wollen. Ihr Termin ist auf die Karte gestempelt.« Ich sah auf meine herunter. Sie war mit »8.30 Uhr« gestempelt.
30
Am nächsten Tag hatte ich Glück. Sie riefen meinen Namen auf. Diesmal war es ein anderer
Arzt. Ich machte den Oberkörper frei und setzte mich auf den Rand der Liege. Er knipste eine
Lampe an und besah mich in ihrem grellen weißen Licht.
»Hmmm, hmmm«, sagte er, »mhm …«
Ich saß da.
»Wie lange hast du das schon?«
»Zwei Jahre. Es wird immer schlimmer.«
»Aha.«
Er musterte mich weiter.
»Na, dann leg dich jetzt mal auf den Bauch. Ich bin gleich wieder da.«
Einige Augenblicke vergingen, und plötzlich war der Raum voll von Leuten. Alles Ärzte. Jedenfalls sahen sie so aus und redeten auch so. Wo kamen die auf einmal her? Ich hatte gedacht, es gebe kaum Ärzte im Los Angeles County General Hospital.
»Acne vulgaris. Der schlimmste Fall, den ich in meiner ganzen Praxis erlebt habe.« »Fantastisch.«
»Unglaublich.«
»Sehn Sie sich mal das Gesicht an!«
»Und
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