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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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stellte das Buch dagegen und las weiter. Mit der Lampe wurde es sehr heiß, und nach einer Weile bekam ich kaum noch Luft. Ich lüpfte die Bettdecke, um Luft hereinzulassen.
    » Was ist das? Sehe ich da Licht? Henry, hast du dein Licht aus?«
    Rasch deckte ich die Lampe wieder zu und wartete, bis ich meinen Vater schnarchen hörte. Turgenjew war ein sehr ernster Bursche, aber er brachte mich zum Lachen, denn eine Wahrheit, die einem zum ersten Mal begegnet, kann sehr komisch sein. Wenn man bei einem anderen eine verwandte Wahrheit entdeckt und er sie nur für einen selbst zu sagen scheint, ist das ein großes Erlebnis.

So las ich also meine Bücher bei Nacht, mit der Lampe unter der Bettdecke. Ich las diese unglaublichen Sätze und rang dabei nach Luft. Es war wie ein Wunder.
    Und mein Vater hatte wieder Arbeit gefunden. Das war sein Wunder …

    36

    In der Chelsey High ging es weiter wie zuvor. Eine Abschlussklasse war abgegangen und ersetzt worden durch eine andere Gruppe von Seniors mit Sportwagen und teuren Kleidern. Ich wurde nie von ihnen belästigt. Sie ließen mich in Ruhe und ignorierten mich. Die Mädchen gaben ihnen genug zu tun. Mit den armen Schluckern redeten sie nie ein Wort, weder im Klassenzimmer noch außerhalb.
    Nach ungefähr einer Woche redete ich mal beim Abendessen ein ernstes Wort mit meinem Vater.
    »Hör mal«, sagte ich, »ich habe es in der Schule ziemlich schwer. Du gibst mir nur 50 Cents
Taschengeld in der Woche. Kannst du mir nicht einen Dollar geben?«
»Einen Dollar?«
»Ja.«
    Er schob sich eine Portion Rote Bete in den Mund und kaute. Dann sah er unter seinen abwärts geringelten Augenbrauen hervor und musterte mich.
    »Wenn ich dir einen Dollar die Woche geben würde, dann wären das zweiundfünfzig Dollar im Jahr. Das würde heißen, ich müsste in meinem Job mehr als eine Woche nur für dein Taschengeld arbeiten. «
    Ich antwortete ihm nichts darauf. Aber im stillen dachte ich: Wenn du es so kleinlich siehst, kannst du dir überhaupt nichts mehr kaufen - Brot, Wassermelonen, Zeitungen, Mehl, Milch oder Rasiercreme. Ich verkniff mir jedes weitere Wort. Wenn man einen hasst, bittet man ihn nicht um einen Gefallen.
    Die reichen Jungs machten sich einen Spaß daraus, in ihren Sportwagen um die Ecken zu fegen, dass es nach verbranntem Gummi stank, und dann machten sie eine Vollbremsung, ihre Wagen glitzerten in der Sonne, und die Mädchen scharten sich um sie. Der Unterricht war für sie ein Witz, sie waren im Geiste bereits auf dem College, sie machten hier alles mit links und lachten darüber. Sie bekamen gute Noten, man sah sie selten mit einem Buch in der Hand, man sah sie nur um die Ecken schleudern, das Auto voll mit kreischenden lachenden Mädchen. Ich sah ihnen zu mit meinen 50 Cents in der Tasche. Ich wusste nicht einmal, wie man ein Auto fährt.
    Die armen Schlucker hängten sich weiterhin an mich, die Verlorenen und die Idioten. Ich hatte einen Platz unter der Haupttribüne des Football-Spielfelds, wo ich gerne meine Pausenbrote verzehrte. Kaum saß ich da, in der Hand die braune Tüte mit meinen zwei BolognaSandwiches, da kamen sie schon an. »Hey, Hank, kann ich mich zu dir setzen?« »Hau bloß ab hier, verdammt! Ich sag’s nicht zweimal!«
    Ich hatte schon genug von der Sorte am Hals, und ich hatte für keinen etwas übrig. Baldy. Jimmy Hatcher. Und so ein dürrer schlaksiger jüdischer Bursche namens Abe Mortenson. Er war Einserschüler, aber er war einer der größten Idioten in der ganzen Schule. Er war irgendwie total daneben. Ständig hatte er den Mund voll Spucke, doch statt sie auf den Boden zu spucken, hielt er sich die Hand vor den Mund und spuckte sie da rein. Ich verstand nicht, warum er das tat, aber ich fragte ihn nicht danach. Es wäre mir peinlich gewesen. Ich sah ihm nur zu und ekelte mich. Einmal ging ich mit ihm nach Hause, und da kam ich dahinter, warum er lauter Einsen schrieb: Seine Mutter ließ ihn sofort die Nase in ein Buch stecken und achtete darauf, dass er sie nicht mehr herausnahm. Er musste seine ganzen Schulbücher durchackern, wieder und wieder, Seite um Seite. »Er muss einen guten Abschluss machen«, sagte sie zu mir. Es kam ihr nie in den Sinn, dass diese Bücher womöglich gar nichts taugten. Oder dass es überhaupt nicht darauf ankam. Ich sprach sie erst gar nicht darauf an.
    Es war wieder wie in der Grundschule. Ich war umgeben von den Schwachen, den Hässlichen, den Verlierern. Es sah ganz so aus, als sollte es mein Schicksal

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