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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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kannten ihn, denn er flog oft dicht über sie hinweg, ließ sich lachend von ihnen beschießen und warf ihnen Champagnerflaschen an kleinen Fallschirmen ab. Baron v. Himmlen wurde nie von weniger als fünf feindlichen Flugzeugen zugleich angegriffen. Er war ein häßlicher Mann mit vernarbtem Gesicht, doch wenn man ihn lange genug ansah, strahlte er eine seltsame Schönheit aus - es lag an seinen Augen, seinem Stil, seinem Mut, seinem entschlossenen Einzelgängertum.
    Ich schrieb Seite um Seite über die Luftkämpfe des Barons. Wie er drei oder vier Flugzeuge herunterholte und wieder nach Hause flog, obwohl von seiner roten Fokker kaum noch was übrig war. Er setzte hüpfend auf der Landebahn auf, und die Maschine war noch nicht ausgerollt, da sprang er schon heraus und begab sich stracks in die Bar. Er griff sich eine Flasche, setzte sich allein an einen Tisch, schenkte sich ein Glas nach dem anderen ein und kippte es herunter. Keiner trank wie der Baron. Die anderen standen nur an der Bar und sahen ihm zu. Einmal fragte einer von ihnen: »Was ist, Himmlen? Sind Sie sich zu gut für uns?« Der Mann hieß Willi Schmidt und war der größte und stärkste Bursche in der ganzen Staffel. Der Baron kippte sein Glas, stellte es ab, stand auf und ging langsam auf Willi zu. Die anderen wichen zurück.
    »Meine Güte, was haben Sie denn vor?« fragte Willi. Der Baron ging weiter auf ihn zu. Langsam. Wortlos.
    »Herrgott, Baron, das war doch nur Spaß! Bei der Ehre meiner Mutter! Hören Sie, Baron … Baron! … der Feind ist da draußen! Baron!«
    Der Baron knallte ihm eine verdeckt geschlagene Rechte mitten ins Gesicht. Willi riß es komplett nach hinten über die Bar. Er krachte in den Spiegel, und ringsum schepperten die Flaschen nieder. Der Baron zog eine Zigarre aus seiner Brusttasche, zündete sie an, ging zurück zu seinem Tisch, setzte sich hin und goß sich den nächsten Drink ein. Von da an machte keiner mehr eine Bemerkung zu ihm. Sie hievten Willi hinter der Bar heraus. Sein Gesicht war nur noch roter Matsch.
    Der Baron holte ein Flugzeug nach dem anderen vom Himmel. Niemand wußte, wie er es zu solcher Kunstfertigkeit mit seiner roten Fokker gebracht hatte. Auch seine Eigenheiten blieben rätselhaft. Die Angewohnheit, auf eine Bemerkung mit der Faust zu antworten. Oder sein federnder Gang. Ungerührt flog der Baron seine Einsätze. Manchmal hatte er auch Pech. Eines Tages, als er vier alliierte Maschinen abgeschossen hatte und schwer angeschlagen in geringer Höhe mühsam über die feindlichen Stellungen nach Hause flog, durchschlug ein Schrapnell das Cockpit und riß ihm die rechte Hand ab. Er brachte seine rote Fokker trotzdem zurück. Von nun an flog er mit einer eisernen Prothese. Das beeinträchtigte seine fliegerische Kunst kein bißchen. Und die Burschen an der Bar nahmen sich jetzt noch mehr vor ihm in acht. Dem Baron stieß noch allerhand zu. Zweimal machte er im Niemandsland eine Bruchlandung, und jedesmal kroch er zu seiner Staffel zurück, halb tot, durch Stacheldraht und Leuchtkugeln und feindliches Feuer. Mehr als einmal wurde er von seinen Kameraden aufgegeben, weil sie dachten, er sei tot. Einmal blieb er acht Tage aus, und die Piloten saßen in der Bar und redeten davon, was für ein außergewöhnlicher Mensch er gewesen war. Als sie hochsahen, stand der Baron in der Tür, mit acht Tage alten Bartstoppeln, die Uniform verdreckt und zerrissen, die Augen rot und glasig, und seine eiserne Faust glitzerte im Schein der Deckenlampe. Er stand da und sagte: »Wenn ich nicht sofort einen gottverdammten Whisky kriege, nehme ich die Bude auseinander!«
    Der Baron vollbrachte noch so manches Wunder. Bald war das halbe Schreibheft voll mit seinen Abenteuern. Es gab mir ein gutes Gefühl, über den Baron zu schreiben. Der Mensch brauchte schließlich ein Vorbild. Und da weit und breit keines zu sehen war, mußte man eben eines erfinden, das so war, wie ein Mann zu sein hatte. Das war weder verlogen, noch war es Selbstbetrug. Das andere war verlogener Selbstbetrug: Ohne einen Mann wie ihn durchs Leben zu gehen.

    35

    Die Mullverbände halfen. Das L. A. County Hospital war also endlich auf etwas gestoßen, das nützte. Die Pusteln trockneten langsam aus. Sie verschwanden nicht, aber sie wurden ein bißchen flacher. Es traten allerdings neue auf, und man mußte mich weiterhin anbohren und wieder verbinden.
    Meine Sitzungen mit der elektrischen Nadel zogen sich endlos hin. Ich brachte die zweiunddreißigste

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