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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Mr. Hamilton. »Wir haben uns gerade etwas von Gilbert und Sullivan angehört, um den richtigen Vortrag zu lernen. Stehen Sie bitte auf.« Ich stand auf.
    »So, und jetzt singen Sie bitte: Stick dose to your desks and never go to sea and you’ll always
be the ruler of the Queen’s Navy.«
Ich stand nur da.
»Na los doch! Bitte schön!«
Ich brachte es hinter mich und setzte mich wieder.
    »Chinaski, ich habe kaum etwas gehört. Könnten Sie das nicht ein klein wenig schwungvoller singen?«
    Ich stand wieder auf, pumpte mir die Lungen bis zum Bersten voll und legte los: »IF YA
WANNA BE DA RULLER OF DEY QUEEN’S NABY, STICK CLOSE TA YUR DESKS
AN NEVA GO TA SEA!«
Ich hatte alles durcheinandergebracht.
»Chinaski«, sagte Mr. Hamilton, »bitte setzen Sie sich.«
Ich setzte mich. An allem war nur dieser Baldy schuld.

    50

    Die Turnstunde war für alle gemeinsam. Baldy hatte einen Spind in der gleichen Reihe wie ich, etwa vier oder fünf Türen weiter. Ich ging frühzeitig zu meinem Spind, denn Baldy und ich hatten das gleiche Problem: Wir hassten wollene Hosen, weil sie uns an den Beinen juckten. Unsere Eltern dagegen waren darauf versessen, uns Hosen aus Wollstoff zu kaufen. Ich hatte das Problem für Baldy und mich gelöst und ihm mein Geheimnis anvertraut: Man brauchte nur die Schlafanzughose darunter zu tragen.
    Ich öffnete meinen Spind und zog die Hose aus. Dann streifte ich die Schlafanzughose ab und versteckte sie oben auf dem Spind. Als ich in den Trainingsanzug stieg, kamen nach und nach die anderen Jungs herein.
    Baldy und ich hatten allerhand tolle Pyjama-Geschichten zu erzählen, doch er hatte eine
erlebt, die unschlagbar war. Eines Abends war er einmal mit seiner Freundin tanzen gegangen,
und zwischen zwei Tänzen hatte sie plötzlich gesagt: »Was ist das denn?«
»Was?«
»Aus deiner Hose guckt was unten raus.«
»Was?«
»Meine Güte! Du hast ja deinen Schlafanzug drunter an!«
»Wie? Ach das … Muss ich wohl vergessen haben.«
    »Ich bleibe hier keine Sekunde länger!« hatte sie gesagt und war nie mehr mit ihm ausgegangen.
    Die Jungs waren inzwischen alle da und zogen sich um. Dann kam Baldy herein und ging an
seinen Spind.
»Wie geht’s, Kumpel?« fragte ich ihn.
»Oh, hallo, Hank …«
    »Ich habe eine Englischstunde morgens um sieben erwischt. Da fängt der Tag gleich richtig an. Nur sollte man es besser Musikunterricht nennen …»
    »Ach so, ja. Hamilton. Hab schon von ihm gehört, hee hee hee …« Ich ging zu ihm hin.
    Baldy hatte sich gerade die Gürtelschnalle geöffnet. Ich packte seine Hose und zog sie ihm herunter. Er trug einen Pyjama mit grünen Streifen. Er versuchte, seine Hose wieder hochzuziehen, aber ich hielt sie eisern fest.
    »Hey, schaut mal her! Menschenskind, der Kerl kommt im Schlafanzug in die Schule!« Baldy zerrte verzweifelt. Er war knallrot im Gesicht. Einige kamen her und sahen es sich an. Dann machte ich das Schlimmste: Ich zog ihm auch die Schlafanzughose herunter.
    »Und seht euch mal das an! Der arme Wichser ist nicht nur kahl, er hat auch kaum was zwischen den Schenkeln! Was soll dieser arme Wichser bloß machen, wenn er’s mal mit einer Frau zu tun kriegt?«
    Ein großer Kerl in meiner Nähe sagte: »Chinaski, du bist wirklich ein Stück Scheiße!« »Yeah«, sagten zwei oder drei andere. »Yeah«, hörte ich weitere Stimmen. »Yeah …« Baldy zog sich die Hosen hoch. Mit Tränen im Gesicht wandte er sich an die Burschen und schrie: »Chinaski hat selber seine Schlafanzughose drunter! Er hat mich überhaupt drauf gebracht! Ihr braucht nur mal in seinen Spind zu sehn!«
    Er rannte zu meinem Spind, riss die Tür auf und zerrte meine Sachen heraus. Die
Schlafanzughose war nicht dabei.
»Er hat sie versteckt. Er hat sie irgendwo versteckt!«
Ich ließ meine Kleider auf dem Boden liegen und ging hinaus auf den Platz, wo wir anzutreten
hatten. Ich stellte mich in die zweite Reihe und machte einige Kniebeugen. Mir fiel auf, dass
hinter mir schon wieder so ein wuchtiger Kerl stand. Ich hatte seinen Namen schon gehört.
Sholom Stodolsky.
»Chinaski«, sagte er, »du bist ein Stück Scheiße.«
»Leg dich nicht mit mir an, du. Ich bin ein reizbarer Mensch.«
»Na, ich leg mich aber mit dir an.«
»Treib es nicht zu weit, Dicker.«
»Kennst du den Platz zwischen dem Biologie-Gebäude und den Tennisplätzen?«
»Hab ihn schon gesehn.«
»Dort werd’ ich nach dem Turnen auf dich warten.«
»Okay«, sagte ich.
    Doch ich ließ mich nach dem Turnen nicht blicken. Ich

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