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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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irgendeinen Wälzer aus dem Regal und sah mich nach Mädchen um. Eine oder zwei saßen immer da. Ich setzte mich drei oder vier Stühle weiter und tat so, als würde ich in meinem Buch lesen. Ich versuchte intelligent drein zusehen und hoffte, dass mich eine ansprechen würde. Ich wusste, dass ich hässlich war, aber ich dachte, wenn ich intelligent genug auf sie wirkte, hätte ich vielleicht eine Chance. Es klappte nie. Die Girls kritzelten nur ihre Notizblöcke voll, und dann standen sie auf und gingen, während ich diesen Körpern nachsah, die sich rhythmisch und magisch unter ihren sauberen Kleidern bewegten. Ich fragte mich, was Maxim Gorki unter solchen Umständen getan hätte.
    Zuhause war es immer dasselbe. Sobald wir die ersten Bissen des Abendessens verzehrt
hatten, kam unweigerlich die Gretchenfrage aufs Tapet. Mein Vater schaute hoch und fragte:
»Hast du heute eine Arbeit gefunden?«
»Nein.«
»Hast du’s überhaupt irgendwo versucht?«
»Ich hab sie reihenweise durchgemacht. Bei manchen bin ich jetzt schon das zweite oder dritte
Mal gewesen.«
»Das glaube ich dir nicht.«
    Es stimmte aber. Es stimmte auch, dass manche Firmen jeden Tag eine Anzeige in die Zeitung setzten, obwohl sie gar keine offenen Stellen hatten. Es gab den Personalabteilungen dieser Firmen etwas zu tun. Es verplemperte auch vielen verzweifelten Menschen die Zeit und raubte ihnen die letzte Hoffnung.
    »Morgen wirst du bestimmt was finden, Henry«, sagte meine Mutter jedes Mal.

    49

    Ich suchte den ganzen Sommer nach einem Job und konnte keinen finden. In Europa machte Hitler eine Menge Wirbel und holte massenhaft Arbeitslose von den Straßen.
    Jimmy Hatcher kam in einem Werk von Douglas Aircraft unter. Wir gingen zusammen hin, füllten unsere Bewerbungsformulare aus und schrieben so ziemlich dasselbe rein. Nur mit einem Unterschied: Wo es Geburtsort hieß, schrieb ich »Andernach, Deutschland« und er »Reading, Pennsylvania«.
    »Jimmy hat einen Job«, sagte meine Mutter. »Ihr habt dieselbe Schule besucht und seid beide gleich alt. Warum hast du nicht eine Anstellung in diesem Flugzeugwerk kriegen können?« »Die sehn es einem Kerl eben gleich an, ob er arbeitsscheu ist«, sagte mein Vater. »Der will doch bloß in seinem Zimmer auf seinem faulen Arsch sitzen und sich Sinfonien anhören!« »Na schön, der Junge hat was übrig für Musik. Ist doch wenigstens etwas.« »Aber er fängt nichts damit an! Er macht nichts daraus!« »Was soll er denn machen?«
    »Er sollte zum Rundfunk gehn und denen sagen, daß er die Sorte von Musik mag und sich
einen Job als Ansager besorgen.«
»Ach Gott, so geht das doch nicht. So einfach ist das nicht.«
»Was weißt du denn davon? Hast du’s schon probiert?«
»Ich sag dir, das geht nicht einfach so.«
    Mein Vater schob sich ein großes Stück Schweinskotelett in den Mund. Der Fettrand hing ihm zwischen den Lippen heraus, während er kaute. Es sah aus, als hätte er drei Lippen. Dann saugte er die Schwarte schmatzend ein und sah meine Mutter an. »Weißt du, Mama, der Junge will einfach nichts arbeiten.«
    Meine Mutter sah mich an. »Henry, warum isst du nicht endlich?«
    Schließlich wurde entschieden, dass ich mich im Los Angeles City College einschreiben sollte. Dort gab es keine Studiengebühren, und die Bücher konnte man im Coop Bookstore antiquarisch kaufen. Mein Vater schämte sich einfach, dass ich arbeitslos herumhing. Wenn ich zur Schule ging, dachte er, würde ich wenigstens ein bißchen was darstellen.
    Eli La Crosse (Baldy) war schon seit einem Semester dort. Ich ließ mich von ihm beraten. »Was ist von den ganzen Scheißfächern das leichteste?« fragte ich ihn.
    »Journalismus. Die mit Journalismus als Hauptfach machen hier keinen Finger krumm.«
»Okay, dann werd’ ich Journalist.«
Ich sah mir die Broschüre für Studienanfänger durch.
»Was ist diese Studienberatung, von der da die Rede ist?«
»Ach, das kannst du vergessen. Das ist Humbug.«
»Danke für die Auskunft, Kumpel. Dann werden wir statt dessen in die Kneipe da hinterm
Campus gehn und uns ein paar Gläser Bier reintun.«
»Das ist die richtige Einstellung!«
»Yeah.«
    Am Tag nach der Studienberatung sollte man sich für die einzelnen Fächer einschreiben. Überall rannten sie aufgeregt mit Papieren und Broschüren herum. Ich war mit der
    Straßenbahn gekommen. Mit der Linie »W« bis zur Vermont und dann mit der »V« nach
Norden zur Monroe. Ich wusste nicht, wo die hier alle hinrannten, oder was ich zu tun

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