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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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ganzes Treppenhaus
abgebrochen hatte, erschien ihm doch unwahrscheinlich. Er begab sich ins Zimmer
zurück und schaute in den Hof. Hier stand zusammen mit den anderen der Hotelier
und rief: »Gott sei Dank, Herr Hauptmann, sie leben!« Worauf der gute Hauptmann
Hauser erfuhr, daß ein Erdbeben die Stadt zerstört hatte und unter anderem das
elfstöckige Hotel gegenüber vollständig eingestürzt war.
    In dieser Zeit in Bukarest bekamen wir
einen Vorgeschmack des Rußlandfeldzuges. Am 20. Dezember nahmen wir noch mit
entblößtem Oberkörper Sonnenbäder auf den Festungswällen von Otopeni. Am 24. Dezember
setzte ein solcher Schneesturm ein, daß die Straßen total verweht waren und
jeder Kraftwagenverkehr unmöglich wurde. In den Nächten sank das Thermometer
des öfteren auf minus 35 Grad Celsius. Aus Unkenntnis ließ ein deutscher
Zahlmeister im Januar/Februar bei der größten Kälte Wein in das
Verpflegungslager Bukarest fahren. Der größte Teil des Weines erfror und wurde
ungenießbar. Ich wurde bald zum Liebling des unglücklichen Zahlmeisters, weil
ich zweimal in der Woche je 500 Liter dieses Weines abnahm. Wir galten bei den
deutschen Einheiten bald sprichwörtlich als ausgepichte Hartsäufer, die auch
vor dem furchtbarsten Gesöff nicht zurückschreckten.
    Zuletzt konnten einige Zahlmeister ihre
Neugierde nicht mehr bezähmen und besuchten unsere Einheit, wo sie begeistert
als unsere Wohltäter aufgenommen wurden. Dabei lüftete sich das von mir streng
gehütete Geheimnis. Von diesem schrecklichen Gesöff hatte ich nicht einen
Tropfen an die Mannschaft ausgegeben. Ich war ja nicht lebensmüde, denn unsere
Mannen verstanden etwas vom Wein. Ich hatte ein Gerät zur Herstellung von
destilliertem Wasser für die Kraftwagenbatterien zweckentfremdet und mit Hilfe
eines original Schwarzwälder Kirschbrenners eine beachtliche Schwarzbrennerei
aufgemacht. Sie arbeitete in drei Schichten rund um die Uhr, um den verdorbenen
Wein in ein hervorragendes Destillat mit 57 % zu verwandeln. Als die
Zahlmeister das sahen, wurde ihnen ganz feierlich zumute, und sie legten mir
sofort nahe, auch die Zahlmeisterlaufbahn zu ergreifen, da ein solches Talent
für den Truppendienst zu schade wäre. Dieses herrliche Getränk erhielt den
Namen Staffelwasser und wurde unter diesem Namen bei sämtlichen befreundeten
Einheiten berühmt, zumal sich damit noch mehr Krankheiten bekämpfen ließen als
mit Aspirin.
    Im Frühjahr wurden wir nach Roman
verlegt. Dort meldete ich mich zur Zahlmeisterlaufbahn und hatte wieder einmal
Glück, wie so oft in meinem Leben. 14 Tage vor Beginn des Rußlandfeldzuges
wurde ich zu einem Ausbildungslehrgang einberufen. Wäre dieser Einberufungsbefehl
nur acht Tage später gekommen, hätte ihn ein allgemeiner Stopp aufgehalten.
     
     
     

Frischgemüse braucht
die Truppe
     
     
    Zuerst wurde ich der Zahlmeisterei des
119. Infanterieregiments auf dem Burgholzhof in Stuttgart zur Ausbildung
zugeteilt. Während dieser Ausbildungszeit merkte ich rasch, daß mich die
Tätigkeit eines Zahlmeisters alles andere als glücklich machen konnte. Deshalb
mußte ich mir einfach etwas einfallen lassen. Meine Überlegungen waren ganz
einfach. Die Verpflegung unserer Mannschaft war vitaminarm, da es vom Transport
her nicht möglich war, die Truppen mit Gemüse zu versorgen. Man mußte also das
Transportproblem zu umgehen versuchen. Das war dadurch möglich, daß man zum
Beispiel bei Kohl nicht die fertigen Kohlköpfe, sondern die Kohlpflanzen
verschickte. Denn für 100 000 Kohlköpfe braucht man 100 Lastwagen, während 100
000 Kohlpflanzen noch nicht einmal einen einzigen Personenwagen füllen. Meine
Idee war nun, in Frontnähe Jungpflanzen von Kohl, Salat und anderen geeigneten
Gemüsearten im großen Stil heranzuziehen und sie, wenn die Front vorrückt, der
Truppe nachzusenden. Gleichzeitig war ein Großanbau von Sämereien der
Gemüsearten vorgesehen, die schnell geerntet werden konnten, wie Gartenkresse,
Pflücksalat, Spinat, Radieschen usw.
    Dies legte ich in einem Bericht
schriftlich nieder, der im Oberkommando der Wehrmacht Beachtung fand, und ich
wurde, nachdem ich inzwischen den Zahlmeisterlehrgang beendet hatte, zum OKH. I
Va nach Berlin beordert. Das war die Verpflegungsabteilung der Wehrmacht. Hier
wurde ich als seltener Vogel zuerst einmal herumgereicht. Man wollte mir auch
einreden, daß ich aufgrund meines Studiums nicht in die Zahlmeister- und damit
gehobene Laufbahn gehöre, sondern in die höhere Laufbahn,

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