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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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gewesen wäre, mit diesem Arbeitsaufwand auch noch Gemüse zu erzeugen,
wo doch so viele Menschen hungerten. Ich meine, die Blumen waren damals
wichtiger, denn das bißchen Gemüse mehr wäre noch nicht einmal ein Tropfen auf
den heißen Stein gewesen, während diese Grüninsel inmitten der Ruinenwüste
Zehntausenden täglich Freude spendete. Wie dankbar die Menschen für dieses
bißchen Grün waren, zeigte sich darin, daß die Anlagen weder zerstört noch
verunreinigt wurden. Während des Winters setzten wir jede freie Hand an, alle
kranken und schwer angeschlagenen Bäume des Parks zu fällen, um die Bevölkerung
mit Brennmaterial zu versorgen. Schon im Herbst ließ ich weitere Flächen im
Rosensteinpark umbrechen, so daß wir zuletzt etwa 20 Hektar Land für
Gemüseanbau unter dem Pflug hatten.

    Wie kompliziert das alles war, will ich
am Beispiel des Tomatenanbaus zeigen. Da wir nicht genügend Saatgut bekamen,
zogen wir den Tomatensamen selbst, wobei wir eine strenge Auslese betrieben.
Die Pflanzen mußten wir in wiederhergestellten Frühbeeten anziehen, weil die
Gewächshäuser noch nicht eingeglast waren. Die ersten vier Wochen standen die
Aussaatkisten in dem erwähnten Kohlenbunker, der nun auch noch als
Gewächshausersatz herhalten mußte. Da wir 20 000 Tomaten pflanzen wollten,
brauchten wir ebensoviele Pfähle. Wir bekamen 1500 Fichtenstangen von der
Forstverwaltung. Um daraus die Pfähle zu spalten, brauchten wir aber eine
Kreissäge. Unsere Werkstätten waren ausgebrannt und die ausgeglühten Maschinen
verrostet, also bauten wir uns selbst eine Kreissäge zusammen. Dieses
Instrument wäre zwar unter keinen Umständen durch den TÜV gekommen, erfüllte
aber seinen Zweck. Der nächste Engpaß war das Bindematerial, um die Tomaten
aufzubinden. Auch das trieben wir irgendwie auf, so daß wir im Jahre 1946 2000
Zentner Tomaten den Krankenhäusern und Gemüsegeschäften zur Verfügung stellen
konnten.
    Dieses Beispiel zeigt, von wieviel
Zufällen damals das Gelingen abhing. 1500 Fichtenstangen bedeuteten damals ein Vermögen,
aber ohne Kreissäge hätten wir immer noch keine Pfähle gehabt, und ohne
Bindegarn hätten uns die schönsten Pflanzen ebensowenig genützt wie die besten
Pfähle. Es war eine Zeit, in der einer auf den anderen angewiesen war, und nur
wer bereit war, anderen zu helfen, wenn es ihm auch im Augenblick keinen
Vorteil brachte, hatte auf die Dauer Aussicht auf Erfolg.
    So hatten wir dank unserer beachtlichen
Gemüseerzeugung die volle Sympathie des Landwirtschaftsamtes und wurden bei
Zuweisung von Baumaterial, insbesondere von Glas, großzügig bedacht. Wir
konnten deshalb unsere Gewächshäuser zum großen Teil vor der Währungsreform
wieder aufbauen. Diese Gewächshäuser waren nicht nur bei der Gemüseerzeugung
hilfreich, sondern wir konnten nun auch wieder die verlagerten Pflanzen der
Wilhelma zurückbringen sowie neue Pflanzen kultivieren.
    Durch meinen privaten DKW-Meisterklasse,
den ich über den Krieg gerettet hatte, war ich beweglich und konnte die
botanischen Gärten der amerikanischen Zone abklappern. Soweit sie ihre
Pflanzenbestände gerettet hatten, halfen sie uns in der großzügigsten Weise.
Wir konnten in den botanischen Gärten von Erlangen, Würzburg und München
jeweils einen ganzen Lastzug großer Pflanzen, ohne die geringste Gegenleistung,
abholen. Bald hatten wir wieder einen recht netten Pflanzenbestand
zusammengebracht, als der Tag X der Währungsreform angekündigt wurde. Eine
Fahrt verlief besonders abenteuerlich. So fuhr ich mit meinem
Kakteenobergärtner eines Morgens um fünf Uhr nach Erlangen, um Kakteen und
Sukkulenten zu holen. Den ganzen Tag packten wir Pflanzen ein. Mittags aßen wir
in einem Gasthaus ein Stammgericht für fünf Gramm Fettmarken.
    Als wir abends zurückfuhren, war ich so
ermüdet, daß ich am Steuer einschlief. Ich wachte an einem heftigen Rumpler auf
und stellte fest, daß wir im Straßengraben zwischen zwei Obstbäumen gelandet
waren. Mein Beifahrer bemerkte in aller Seelenruhe: »I hon mir die ganze Zeit
denkt, der Herr Direktor schläft glei ei.« Auf meine entsetzte Frage, warum er
mich nicht geweckt hätte, meinte er: »I hon denkt, der Herr Direktor wird’s
scho recht machen.« Auf den Schreck hin war mein Schlaf verflogen. Nachdem wir
den Wagen aus dem Straßengraben gezogen hatten, kamen wir dann gut nach
Stuttgart. »Der Herr Direktor wird’s schon recht machen«, wurde zum geflügelten
Wort in der Familie. Auch wenn viele

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