Das Schlitzohr
Eingang und dienten gleichzeitig zur Einstimmung. Das Landhaus
selbst hatte ein Glasdach bekommen und nahm einige größere Volieren auf. Eine
Treppe führt zu einer Empore mit wertvollen Tropenvögeln, darunter eine
kostbare Sammlung von Paradiesvögeln. Durch dieses Haus hatten unsere
Tropenvögel erstmals eine wirklich gute Unterkunft gefunden. Im Maurischen
Landhaus richteten wir auch das erste Nachttierhaus auf dem Kontinent ein. Hier
wird der Tag zur Nacht und umgekehrt. Bei den Tieren ist es wie bei den
Menschen, innerhalb von zwei Tagen haben sie sich an den neuen Tag- und
Nachtrhythmus gewöhnt. Man hat dann das Vergnügen, Tiere, die man bisher als
schlafende Wollknäuel in einer Ecke liegen sah, nun bei ihrer erstaunlichen
Aktivität zu erleben. Die Flughunde flattern durch ihr Gehege, und die
Schnabeligel, diese eierlegenden Säugetiere Australiens, sind unterwegs.
So war für die Wilhelma eine neue Ära
angebrochen, wie Finanzminister Dr. Hermann Müller bei der Eröffnung dieses
Hauses am 7. Juni 1962 verkündete. Schon während des Baues des Maurischen
Landhauses war die Planung des neuen Aquariums das Thema Nummer eins. Als
Grundlage dafür mußten wir zuerst einen Bedarfsplan aufstellen. Die Architekten
mußten wissen, welche Art von Tieren wir in den Becken halten wollten, wie groß
die Becken sein müssen und welche Einrichtungen benötigt werden. Zum Beispiel
brauchten die Nordsee- und das Forellenbecken Kühleinrichtungen und die
Behältnisse für die Bewohner tropischer Gewässer Heizungen. Jedes Becken
benötigte eine Filterung. Wir mußten uns entscheiden, aus welchen Becken das
Wasser gemeinsam gefiltert werden kann, und wo Einzelfilterung unumgänglich
ist, um zu vermeiden, daß Krankheiten übertragen werden. Für die beträchtlichen
Mengen Süß- und Meerwasser der großen Schauaquarien mußten beachtliche
Filteranlagen installiert werden, und es war für die Salze zur Herstellung von
Meerwasser ein Salzlager erforderlich. Außerdem wurden große Becken benötigt,
in denen Meerwasser hergestellt werden konnte und noch weit größere, um stets
einen ausreichenden Vorrat an Meerwasser für den Katastrophenfall zu haben.
Weitere Becken wurden für Futtertiere
benötigt, Zuchtbecken mußten eingeplant werden sowie eine Zahl Reservebecken,
die mindestens so groß sein mußten wie die Schaubecken. Man mußte ja kranke
Fische behandeln und so viele Fische in Reserve haben, daß jederzeit bei
Ausbruch einer Seuche die Schaubecken neu besetzt werden konnten. Es war eine
Unzahl von Forderungen, die auf die Architekten zukam, denn wir brauchten für
die Nebeneinrichtung dreimal soviel Raum wie wir für die Schaubecken vorgesehen
hatten. Das waren reale Forderungen, denen sich die Architekten zu beugen
hatten.
Als wir uns über diesen Bedarfsplan
geeinigt hatten, zeigten sich die Architekten über Erwarten großzügig und
mutig. Sie rückten mit dem Plan heraus, den Festsaal abzubrechen und die ganze
Fläche zwischen Wandelgang und Halbmondsee großzügig zu überbauen. Natürlich
bedauerte ich den Abbruch der Festsaalruine, die anmutiger und graziler wirkte
als der intakte Festsaal. Da aber ein Wiederaufbau nicht sinnvoll war, trug ich
den Verlust mit Fassung. Die Platzwahl für das neue Aquarium hatte allerdings
zur Folge, daß wir die Bewohner des bestehenden Aquariums umsiedeln und auch
die Menschenaffenunterkünfte, die wir gerade vergrößert hatten, um unsere
Orang-Utans unterzubringen, verlegen mußten.
Für die Menschenaffen bauten wir ein
respektables provisorisches Gebäude in der Verlängerung der südlichen
Lindenallee entlang des Giraffengeheges. Für die Aquarien- und Terrarientiere
entstand als Provisorium ein 60 Meter langes und zehn Meter breites Gewächshaus
entlang des Wintergartens, mit dem es durch einen Gang verbunden war. Dank des
Umstandes, daß an dieser Stelle keinerlei Rücksicht auf die Architektur
genommen werden mußte, war in diesem Zweckbau ein Optimum an Licht für die
Aquarien mit einem Minimum an Kosten verbunden. Dieses Haus war trotz seiner
bescheidenen Aufwendungen mit das beste Aquarium, das ich kennengelernt habe.
Wir hatten in diesem Haus auch hervorragende Haltungserfolge. Dieses
Interimsaquarium hatte noch einen weiteren Vorteil. Wir konnten hier sehr viel
ausprobieren, was wir für verbesserungsbedürftig hielten, und experimentierten
deshalb kräftig drauflos, zugunsten des endgültigen Aquariums.
Aber auch für diesen Fall galt die
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