Das Schloss am See: Mittsommerherzen (German Edition)
geflossen. Sollte all dies denn wirklich umsonst gewesen sein?
Lisbet ballte die Hände zu Fäusten. Nein, so weit durfte es nicht kommen! Es musste einen anderen Weg geben. Nur welchen? Ach, wenn Hannes doch nur verschwinden und sie ein für alle Mal in Ruhe lassen würde!
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, wurde ihr auch schon klar, dass sie sich bloß etwas vormachte. Im Grunde ihres Herzens wollte sie doch überhaupt nicht, dass Hannes ging. Allein die Vorstellung, dass er schon bald wieder nach Hamburg gehen und sie zurücklassen würde, machte sie fast verrückt. Es war zum Verzweifeln: Sobald sie die Augen schloss, sah sie sein Gesicht vor sich. Sie traute sich schon gar nicht mehr, abends zu Bett zu gehen, weil er sich Nacht für Nacht in ihre Träume schlich, und immer wenn sie ihn sah, fing ihr verräterisches Herz an, schneller zu schlagen.
Die Symptome waren eindeutig: Sie hatte sich in Hannes verliebt.
Förbannat! Reiß dich zusammen, Lisbet Carlsson! Du hast es schon einmal geschafft, den Mann, den du zu lieben glaubtest, aus deinem Herzen zu verbannen – du wirst es auch jetzt wieder schaffen!
Doch so recht daran glauben konnte sie selbst nicht.
Hannes war Lisbet nicht gefolgt. Er kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass man nicht vernünftig mit ihr reden konnte, wenn sie sich in dieser Stimmung befand. Aber auch er selbst war heute ungewöhnlich gereizt und angespannt. Vermutlich lag es an dem Anruf, der ihn heute Morgen in aller Herrgottsfrühe erreicht hatte.
Es war Hennig gewesen, der Handwerkermeister, der die Reparaturarbeiten am Dach des
Alsterblick
leitete. Und er hatte ihm mitgeteilt, dass sich seit einigen Tagen ein Mann in der Nähe der Baustelle herumdrückte und die Arbeiten zu beobachten schien. Nach seiner Beschreibung hatte Hannes sofort erkannt, um wen es sich handeln musste: Martin Kowalski, die rechte Hand seines Stiefbruders Albert.
Das konnte nur eines bedeuten: Albert und seine Mutter Nadine hatten Verdacht geschöpft, dass etwas im
Alsterblick
nicht stimmte. Und auch wenn Hennig ihm versichert hatte, dass sich Art und Umfang der Arbeiten für einen Außenstehenden kaum einschätzen ließen, war Hannes doch beunruhigt. Sehr beunruhigt sogar.
Sollte Kowalski nämlich zu dem Schluss kommen, dass Hannes etwas zu verbergen hatte, würde er Albert darüber informieren. Und wenn dieser die Chance witterte, seinem Stiefbruder eins auszuwischen, dann würde er sie unter Garantie nutzen.
Für Hannes hieß das, dass ihm womöglich noch weniger Zeit blieb, als er ohnehin befürchtet hatte. Das
Alsterblick
war zwar kein wirtschaftlicher Totalschaden, doch es befand sich auch noch lange nicht in einem Zustand, in dem an Wiedereröffnung auch nur zu denken war.
Als sein Handy klingelte, rechnete er sogleich mit einer neuen Hiobsbotschaft. Doch dieses Mal war es nicht Hennig, sondern Lennartsson, der Detektiv.
Hannes hob das Telefon ans Ohr. „Ja?“, sagte er ohne lange Vorrede. „Haben Sie die Informationen, die ich benötige?“
„Allerdings“, erwiderte der Privatermittler. „Und es war leichter, als ich angenommen hatte. Ich habe mich einfach als Ihr Anwalt ausgegeben und einen Termin bei Notar Rönquvist gemacht. Er war recht überrascht, als ich ihm den Grund meines Besuchs nannte.“
„Soll das bedeuten …?“
„Den Nutzungsvertrag, den Sie mir geschildert haben, gibt es nicht.“
Hannes runzelte die Stirn. Lisbet hatte also gelogen – ihr Notar war keineswegs verreist, und das Dokument, in dem Hilda ihr die lebenslange Nutzung von Beringholm Slott garantierte, existierte nicht.
Warum wunderte ihn das eigentlich? Er hatte sie eben doch von Anfang an richtig eingeschätzt!
„Was sonst noch?“, fragte er barsch. Sein Bedarf an schlechten Nachrichten war zwar gedeckt, doch wenn es noch etwas gab, dann wollte er es lieber jetzt auf der Stelle erfahren. Das heißt, im Grunde waren die Neuigkeiten für ihn ja sogar positiv. Es gab keinen Nutzungsvertrag, also konnte er Lisbet mitsamt ihren Schützlingen vertreiben, wann immer es ihm gefiel. Für die Kinder, ja sogar für die Tiere tat es ihm leid. Er hatte Aleksandra, Jenny, Kristina und die anderen ins Herz geschlossen. Doch sie würden auch so ihren Weg gehen. Vermutlich tat er ihnen sogar einen Gefallen, wenn er dafür sorgte, dass Lisbet nicht länger Einfluss auf sie nehmen konnte.
Er schüttelte über sich selbst den Kopf. War es sein gekränkter Stolz, oder dachte er tatsächlich so
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