Das Schloss am See: Mittsommerherzen (German Edition)
darauf gesetzt, dass es Lisbet mit ihrer Energie und ihrem großen Engagement gelingen würde, seinen Vater mitzureißen.
Doch Lisbet war nicht erreichbar. Seit zwei Tagen hatte er nichts von ihr gehört. Und das Schlimmste daran war, dass er kaum an etwas anderes denken konnte als an sie – nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein Gespräch mit seinem alten Herrn …
„Herr Westenberg? Ihr Vater ist jetzt bereit, Sie zu empfangen.“
Hannes atmete tief durch.
Auf in die Höhle des Löwen …
Der dicke cremefarbene Teppichboden verschluckte das Geräusch seiner Schritte, und auch die wuchtige Eichentür, die zum Büro seines Vaters führte, öffnete und schloss sich absolut lautlos.
Richard Westenberg saß in einem großen Ledersessel hinter dem schweren, mit Schnitzereien versehenen Holzschreibtisch. Das riesige Panoramafenster blickte auf den Berliner Alexanderplatz hinaus. Alles in dem Raum zeugte von Stil, Eleganz und Geld – sehr viel Geld. Das Mobiliar, die Holzvertäfelung der Wände, die gedämpfte Deckenbeleuchtung – mit all dem erreichte Richard Westenberg genau den eindrucksvollen, leicht einschüchternden Effekt, den er erzielen wollte.
Doch bei Hannes zeigte dies nach all den Jahren keine Wirkung mehr. Der Anblick der zweiten Person, die auf einem der Besucherstühle saß, ließ in ihm jedoch gleich sämtliche Alarmsirenen losschrillen.
„Albert“, sagte er und nickte seinem Stiefbruder knapp zu.
Er war im selben Alter wie Hannes, wirkte jedoch älter – nein, verbrauchter. Das lag daran, dass er seine Abende mit Vorliebe in Bars und Nachtclubs verbrachte, in denen er seinen drei großen Lastern frönte: kubanischen Zigarren, französischem Kognak und leichten Mädchen. Jeder wusste das, doch für Richard Westenberg fiel der umtriebige Lebenswandel seines Stiefsohns nicht ins Gewicht, wenn es um die Nachfolge als Unternehmensleiter ging. Für ihn zählte nur der berufliche Erfolg – sonst nichts.
Dass Albert heute hier war, bei einem Termin, den Hannes mit seinem Vater vereinbart hatte, konnte nichts Gutes bedeuten. Er brauchte den alten Mann nur anzusehen, um das zu wissen. Die Brauen über den gewittergrauen Augen waren zusammengezogen, der Blick stechend.
„Du erklärst mir jetzt auf der Stelle, was bei dir in Hamburg vor sich geht“, begann er ohne jede Begrüßung. „Wie ich von Albert erfahren musste, handelt es sich bei den Arbeiten am
Alsterblick
keineswegs nur um gewöhnliche Renovierungsarbeiten!“
Hannes atmete tief durch. Er hatte ohnehin vorgehabt, seinem Vater reinen Wein einzuschenken. Dass Albert ihm zuvorgekommen war, sorgte zwar nicht gerade für beste Voraussetzungen, ließ sich aber nun mal nicht ändern.
Er würdigte Albert keines Blickes und schaute seinen Vater an. „Ich kann und will es nicht abstreiten, Vater: Das
Alsterblick
ist im Augenblick eine einzige Baustelle. Es hat ein Feuer gegeben, ausgelöst durch einen Kabelbrand. Und da sich die Versicherung geweigert hat, für die Kosten aufzukommen …“
„Die Versicherung hat – was?“, bellte sein Vater.
Hannes gab dem Impuls, den Blick zu senken, nicht nach. „Nicht ohne Grund, fürchte ich. Eine Mitarbeiterin von mir hat die monatlichen Prämien für die Police lieber in die eigene Tasche gesteckt, anstatt sie an die Versicherungsgesellschaft zu überweisen.“
Wütend ließ Richard Westenberg seine Faust auf die Tischplatte sausen. „Verdammt! Das kann doch nicht wahr sein! Und wann hattest du vor, mir das mitzuteilen?“
„Überhaupt nicht“, erwiderte Hannes wahrheitsgemäß. „Ich wollte die Angelegenheit selbst regeln, um mir deine Vorwürfe zu ersparen.“ Ernst schaute er seinen Vater an. „Wir wissen doch beide, dass ich nie der ideale Sohn sein werde, so wie Tobias es war. Mein Bestes war für dich nie gut genug, und …“
„Glaubst du wirklich, Vater hast Lust, sich dein Gejammer anzuhören?“, mischte Albert sich ein. Er versuchte nicht einmal, seine Selbstzufriedenheit zu verbergen. „Du hast auf ganzer Linie versagt, und deine armseligen Erklärungsversuche machen …“
Mit einem scharfen Blick brachte Hannes seinen Stiefbruder zum Schwiegen. „Ich führe eine Unterhaltung mit meinem Vater.“ Seine Stimme klang schneidend. „Sei bitte so freundlich, dich nicht in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen.“ Dann wandte er sich wieder an Richard Westenberg. „Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Allerdings bin ich nicht hier, um vor dir zu Kreuze zu
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