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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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grobschlächtig
waren, dann fügten sie noch hinzu: »Seien Sie doch froh: jetzt haben Sie eine Sorge
weniger! Aber das sage ich Ihnen: kein Wort davon schnaufen! Zu niemand! Sonst
sitzen Sie eines Tages hinter Schloß und Riegel!«
     
    So war es damals im September
1940. Niemand wußte, was noch alles bevorstand; aber manche hatten schon jetzt
genug. Genug vom unersättlichen Rachen der Schlange. Der Bischof schrieb an den
Reichsinnenminister: »Irret Euch nicht, Gott läßt seiner nicht spotten. Was der
Mensch sät, das wird er ernten.« Aber der las es ja gar nicht. Und wenn er es
las, zuckte er die Achseln: der Tag würde schon noch kommen, an dem man mit
allen Staatsfeinden abrechnete!
    Einstweilen mußte man mit den
Herren vom Schloß Stetten fertig werden.
    »Das Schloß an der Grenze«
nannten sie es jetzt dort. An der Grenze zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen
Recht und Unrecht, zwischen Liebe und Haß, zwischen Engeln und Dämonen,
zwischen Leben und Tod.
    Der Schachzug der Anstalt war
in Stuttgart natürlich nicht unbemerkt geblieben. Wieder kam ein telefonischer
Anruf: Woher die Anstaltsleitung das Recht nehme, die Angehörigen zu
benachrichtigen? Dies komme einer Sabotage der staatlichen Maßnahmen gleich.
Für künftige Fälle werde die Benachrichtigung der betreffenden Familien
ausdrücklich und streng verboten. Es sei unverantwortlich, auf diese Weise
Unruhe in die Bevölkerung zu tragen und sogar der Spionage Gelegenheit zu
geben, sich über etwaige Räumungsabsichten aus militärischen Gründen ins Bild
zu setzen!!
    Man schien das Volk doch für
sehr dumm zu halten!
    Gegen das Verbot verwahrte sich
die Anstaltsleitung sofort, und sie entgegnete, dem Innenministerium könne es
ja nur erwünscht sein, wenn die Angehörigen der Pfleglinge sich über diese
Maßnahmen beschwerten, denn nur so sei es in der Lage, sich ein Bild von der
wahren Stimmung in der Bevölkerung zu machen und festzustellen, wie ihr
Rechtsempfinden reagiere.
    Obwohl daraufhin das Verbot
noch einmal eingeschärft wurde, benachrichtigte die Anstalt immer wieder,
solange die Aktion dauerte, Angehörige, von denen sie annahm, daß sie sich für
das Schicksal der Ihrigen interessierten, und gab ihnen ihre Kranken mit nach
Hause, wenn sie darum baten.
    Und siehe da! Die fortgesetzten
Beschwerden erreichten wenigstens, daß eine Kommission der Regierung, darunter
ein Arzt, eines Tages die Transportlisten an Ort und Stelle prüfte, ehe die
berüchtigten Omnibusse wieder auftauchten. Aber nie wurden Todesurteile
schneller gefällt: als wäre der »Richter« allwissend, so setzte er hinter den
Namen ein Kreuz, das den Tod, oder einen Strich, der die Freilassung bedeutete!
Es ging wie am Schnürchen, ohne daß man die Kranken überhaupt vorführte! Den
Männern vom Schloß blutete das Herz, wenn sie solche Dinge mit ansahen. Das
Bild des Arztes, der, um die angeforderte Zahl zu erreichen, immer rascher
seine Kreuz-Zeichen setzte, erschien ihnen wie eine grausige Vision des
Jüngsten Gerichts, nur, daß der Richter, der hier saß, nicht der barmherzige
Gott war, sondern ein Roboter, der Mensch aus der Retorte, ohne Herz, der wie
eine Maschine funktionierte und ohne innere Teilnahme die Zeichen setzte, die
Leben oder Tod bedeuteten.
    Wenn dann die Omnibusse
vorfuhren, hob der Kampf mit dem Transportleiter an. Man versuchte ihm
klarzumachen, daß die Auswahl der Kranken höchst willkürlich, ja geradezu
verbrecherisch leichtfertig sei. Denn es seien Kranke darunter, die
unentbehrliche Arbeit für die Anstalt verrichteten, z. B. in der
Landwirtschaft, oder es handle sich um Kriegsversehrte oder um Alte, die ihr
Leben lang fleißig gearbeitet hätten und erst im Alter schwachsinnig geworden
seien. Namen von Epileptikern seien notiert, deren geistige Fähigkeiten durch
ihre Krankheit keineswegs gelitten hätten usw.
    Es gelang immer wieder, vom
Transportleiter die Zurückstellung von Kranken zu erreichen, deren Namen dann
freilich oft auf der nächsten Liste wieder erschienen, so daß das Ringen aufs
neue begann. Manche wurden auf diese Weise gerettet, andere — und wohl die
Mehrzahl — mußten zuletzt doch noch die Reise in den Tod antreten.
    Eines Tages erklärte der
Transportleiter kategorisch, daß er den strikten Befehl habe, alle in der Liste
Aufgeführten mitzunehmen. In Stuttgart war man nachgerade auf die Männer im
Schloß erbost, die so zähen Widerstand leisteten und sich sogar bei
übergeordneten Stellen beschwert hatten.
    Da

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