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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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Es war
umsonst gewesen, daß Landesbischof Wurm schon am 19. Juli 1940 seinen berühmten
Brief an das Reichsinnenministerium geschrieben hatte, in dem er gegen die
Verletzung der Menschenwürde und gegen diesen menschlichen Eingriff in eine
Entscheidung, die allein Gott zustehe, protestierte. Schon der Antike, hatte er
bemerkt, sei die Sache des Unglücklichen heilig gewesen, wieviel mehr dem
Christentum! Er könne nur mit Grauen an die Folgen denken, die diese Maßnahmen
für den Staat selbst haben müßten. Denn auf dieser schiefen Ebene gebe es für
ihn kein Halten mehr.
    Der Brief wurde keiner Antwort
gewürdigt, so wenig wie die anderen, die der Bischof an den
Reichsinnenminister, an den Reichsjustizminister, an den Reichsstatthalter in
Württemberg, an den Befehlshaber des Wehrkreises V, an den Reichsärzteführer
usw. schrieb.
    Von der Anstaltsleitung wurde
nun den Angehörigen der 150 auf der Todesliste Angeforderten mitgeteilt, daß
die Verlegung ihrer Verwandten bevorstehe. Was das bedeutete, war schon im
ganzen Land bekannt. Es brauchte nicht ausgesprochen zu werden.
    Nun mußte sich zeigen, wer
bereit war, für sein Kind ein Opfer zu bringen, es bei sich daheim aufzunehmen,
auch wenn die Verhältnisse noch so schwierig waren. Schon das war ja eine Tat,
sich zu seinem Kind zu bekennen und es dem Rachen der Schlange zu entreißen,
der es zu verschlingen drohte.
    Wer zur Rettung bereit war,
mußte schnell handeln. So kamen in den nächsten Tagen etliche Väter, Mütter,
Geschwister und holten die Freudestrahlenden ab. Es ging ja um das nackte
Leben, es war, wie wenn Rettungsboote vom sinkenden Schiff abstoßen: wer im
Boot saß, war gerettet! Manchen fiel der Abschied schwer. Hier war ihre Heimat
gewesen, hier waren ihre Brüder und Schwestern im Leiden, im Lernen, in Arbeit
und Freude. Sie versuchten die Zurückbleibenden zu trösten, sie schenkten ihnen
ihre Habseligkeiten: eine Puppe, eine Tagesration Brot. Aber die standen da und
weinten:
    »Du hast es gut; an mich denkt
niemand.«
    »Sei nicht traurig, morgen
kommt deine Tante und holt dich!«
    »Geh nur, wir sehen uns nicht
wieder.«
    »Doch, die Schwester hat
gesagt, im Himmel sehen wir uns alle wieder.«
    Oder ein Weggehender sagte: »Du
brauchst keine Angst zu haben. Du kommst nicht fort.«
    »Warum?«
    »Weil du schaffen kannst;
Leute, die schaffen können, bringen sie nicht um, die brauchen sie noch. Aber
so ein Krüppel wie ich! Ja, wenn meine Mutter nicht wär! Sie hat gesagt, ich
darf in ihrem Bett schlafen. Und dann tu ich etwas: ich bet jeden Abend für
dich.«
    So ging es ein paar Tage lang.
Aber dann kamen die anderen: die Angehörigen, die nur Lebewohl sagen wollten.
Die Angst hatten. Die das Opfer scheuten. Und die doch ihr Kind noch einmal
sehen, ihm noch etwas Gutes tun wollten. Es war trotz allem ihr Fleisch und
Blut. Sie hatten Mitleid mit den armen, hilflosen Geschöpfen, deren Anblick sie
immer erschreckt hatte. Aber sie brachten den Mut nicht auf, mit ihnen das
Brot, das Bett, den Tisch, die Stube, das Leben zu teilen. Es war ja so beruhigend
gewesen, alle die Jahre, sie untergebracht, aufgehoben zu wissen. Und jetzt?
Vielleicht war es besser...
    Nein, sie sprachen es nicht
aus, sie wagten es nicht einmal zu denken. Man mußte es Gott überlassen, was
nun mit ihnen geschehen würde. »Gott sei dir gnädig, mein Kind«, sagten sie,
mehr nicht. Aber dann gingen sie, vielleicht rückwärts, zur Tür, die Augen
voller Tränen. Da streckte sich noch eine Hand — aber sie brachten es nicht
über sich, ihr das Rettungsseil zuzuwerfen. Sie mußten an sich denken, an ihre
Zukunft, an ihr Leben. Es war schwer genug, in diesem schrecklichen Krieg.
    Wieder andere mußten sich mit
Gewalt losreißen. Sie hatten Angst, das Kind komme ihnen nach. Sie schlugen die
Tür hinter sich zu und rannten die Treppen hinab. Sie flohen aus dem Schloß.
Mit klopfendem Herzen. Warum klopfte es denn? War es Angst, war es
Schuldgefühl?
    Einige wagten es auch und
gingen in die Höhle des Löwen. Dorthin, wo auf einem unsichtbaren Thron der
unsichtbare Götze saß, den das Volk anbetete. Ach, er war zu einem kleinen
Beamten geworden, denn weiter ließ man sie ja nicht vor. Und der zuckte die
Achseln, er wußte von nichts. Er wußte nur das eine: Befehl ist Befehl! So
sprachen sie alle, die Großen wie die Kleinen. Dahinter verschanzten sie sich.
Vielleicht sagten sie noch: »Wir müssen eben alle Opfer bringen. Mir ist mein
Sohn auch gefallen.«
    Wenn sie aber

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