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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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verweigerte der Inspektor
kurzweg die Mithilfe der Anstalt bei der Feststellung und Herausgabe der
Kranken.
    Die Antwort lautete: »Wenn Sie
sich dem Befehl des Staates widersetzen, wird Ihre Anstalt aufgelöst, und Sie
selbst kommen in Schutzhaft.«
    Aber der Inspektor beharrte auf
seiner Weigerung: »Ich lasse mich von Ihnen nicht einschüchtern. Wir können die
Hand nicht bieten zu einem so offenkundigen Unrecht, wie Sie es von uns
verlangen.«
    »Ich gebe Ihnen zwei Stunden
Bedenkzeit. Inzwischen rufe ich meine Vorgesetzte Dienststelle an.«
    »Tun Sie das, aber ich sage
Ihnen im voraus, daß mein Entschluß unabänderlich ist.«
    Die Ärztin, die seit einiger
Zeit anstelle des einberufenen Arztes in der Anstalt Dienst tat, fuhr sofort
nach Stuttgart, um das Innenministerium um Hilfe zu bitten. Zu ihrem Entsetzen
erfuhr sie dort, daß es bereits ausgemachte Sache sei, die Anstalt zu schließen
und sämtliche Kranke zu verlegen. Als sie zurückkam, verhandelte der Inspektor
gerade wieder mit dem Transportleiter. Sie hörte, wie dieser sagte: »Die
Anstalt wird die Folgen Ihrer Hartnäckigkeit zu tragen haben.« Der Inspektor
sah sie fragend an. Sie nickte traurig. Der Mann trumpfte auf: »Sie riskieren
außerdem Ihr Leben.«
    »Ich bin bereit, für unsere
Kranken zu sterben, und ich habe dabei ein ruhigeres Gewissen, als Sie es
einmal um dieser Morde willen haben werden, wenn Sie sterben.«
    »Ach, glauben Sie doch das
nicht. Kein Hahn kräht nach Ihnen, wenn Sie verschwinden, und keinem einzigen
Ihrer Kranken können Sie damit helfen.«
    Die Ärztin flüsterte dem
Pfarrer ins Ohr: »Man will die Anstalt auflösen. Es ist besser, wir geben nach
— um der anderen willen. Es heißt, wir suchten durch unsere Sabotage nur
unseren persönlichen Vorteil.«
    Der Henker sah von einem zum
andern und schien die Lage zu erkennen. »Wenn Sie sich nicht bald entschließen,
dann hole ich mir die Leute selbst!«
    »Das fehlte noch, daß Sie auf
unsere Kranken Jagd machen!«
    Der Pfarrer drehte ihm den
Rücken und ging. Die Ärztin blieb zur Beobachtung da.
    Während dieser Verhandlungen
auf dem Geschäftszimmer hatte sich der Kranken eine furchtbare Panik
bemächtigt. Manche suchten ihr Heil in der Flucht. Sie hatten schon ihren
Platz, wo sie sich jedesmal versteckten, wenn die Omnibusse ankamen. Sie
rannten ins Dorf, auf den Friedhof, einer sogar in eine 20 km entfernte
Ortschaft zu seinen Verwandten, obwohl seine Beine ihn kaum zu tragen
vermochten. Andern tags kam er wieder: »I bin gestern nach D. zu meine
Verwandte gesprungen, mi hen se net verwischt, i bin gscheiter als die!« Er war
auf der Korbmacherei beschäftigt und kam nur aus Pflichtbewußtsein zurück, weil
er seine Arbeit nicht im Stich lassen wollte. Als er nach Auflösung der Anstalt
auf der »Pfingstweide« bei Tettnang untergebracht worden war, fühlte er sich
anfangs sicher, bis er zu seinem Schrecken erfuhr, daß die Omnibusse auch dort
schon erschienen waren. Da machte er sich auf und wanderte und wanderte, bis
ihn ein Herzschlag von aller Angst erlöste.
    Da war Pauline, die an
Epilepsie litt, aber sonst völlig normal war. Sie stand nicht auf der Liste,
aber sie war trotzdem in tödlicher Angst, daß auch sie eines Tages geholt
würde. Verzweifelt hängte sie sich an ihre Pflegerin: »Was soll ich tun?«
    »Geh doch, geh doch«, sagte
diese.
    Sie verstand nicht gleich.
    »Aber Pauline, du hast doch
gesunde Füße!«
    »Was helfen mir die, wenn sie
mich holen?«
    »Zeig doch, daß du gesunde Füße
hast!«
    Jetzt erst begriff sie und sah
die Pflegerin mit ängstlichem Lächeln an: »Werden Sie mir nicht nachspringen
und mich suchen?«
    »Nein, das tue ich nicht. Ich
bin doch kein Polizist!«
    Da atmete sie befreit auf.
»Jetzt weiß ich, was ich tu.« Und, schon im Laufen, wandte sie sich zurück und
rief: »Ich hab schon ein Versteck, da findet mich niemand.«
    Manche rissen sich noch im
letzten Augenblick von ihrem Henker los. So entwand sich der Karl noch an der
Tür des Omnibus den Fäusten seiner Häscher. Er lief zum Männerhaus zurück und
schrie voller Verzweiflung: »Ich geh net mit, ich geh net mit. Lieber häng i mi
selber auf.«
    Aber sie liefen ihm nach und
griffen ihn aufs neue. Sie drehten ihm die Hände auf den Rücken und schleppten
ihn so zum Omnibus zurück.
    Jagd auf Menschen!
    Hatte man sich an Hand der
Liste ihrer bemächtigt, dann schrieb man ihnen eine Nummer auf den Handrücken,
drückte ihnen sozusagen einen Stempel auf, der das

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