Das Schloß der blauen Vögel
Arztkittel, zwei OP-Kittel, zwei lange Gummischürzen, vier Paar Gummihandschuhe, zwei Mundschützer, zwei OP-Kappen, drei weiße Hosen, zwei Paar weiße Gummischuhe. Ich habe Größe 43.«
Ilse Trapps gehorchte ohne Fragen. Sie nahm bei Sassner Maß wegen der Hosen und Kittel, stieg dann in den Kombiwagen und brauste über die Autobahn nach Basel.
»Was wird aus Egon?« fragte sie, ehe sie abfuhr. Es war keine ängstliche Frage. Es klang eher so wie: Kommt heute die Müllabfuhr?
»Ich werde für ihn sorgen«, antwortete Sassner freundlich. »Ich werde ihn unterhalten.«
Sie verabschiedeten sich mit einem Kuß. Er war wie Gift, das in Ilses Körper blieb, solange sie von Gerd Sassner getrennt war.
In der Klinik Hohenschwandt hatten sich die Gemüter etwas beruhigt.
Oberarzt Dr. Keller hatte mit Professor Dorian eine lange, leidenschaftslose und klärende Aussprache gehabt. Auch Angela war dabei gewesen. »Es geht schließlich um mein Glück!« hatte sie gesagt. »Und ich weiß, wie ich mich entscheiden werde.«
»Es ist gut«, hatte Dorian zu Dr. Keller gesagt, »Sie werden also meine Klinik verlassen.« Er vermied es jetzt, seinen künftigen Schwiegersohn zu duzen. »Vielleicht ist das die beste Lösung, ehe wir uns aneinander aufreiben. Ihre medizinischen Ansichten sind anders als meine und werden sich nie angleichen. Das ist schade, ich bedauere das, Doktor Keller. Sie wissen, ich schätze Sie sehr; ich weiß, was Sie können, ich habe selten einen so begabten Operateur gesehen. Aber ich glaube, der Bruch ist so groß, daß wir ihn nicht kitten können. Welche Pläne haben Sie?«
»Ich habe ein Angebot als Dozent und erster Oberarzt nach Zürich, Herr Professor.« Dr. Keller sah auf den dunkelroten Afghan-Teppich. Sie saßen in Dorians Salon vor dem Kamin. »Ich werde morgen zusagen.«
»Sie kommen zu Sprendli?«
»Ja.«
»Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß von mir. Sprendli und ich kennen uns von der Studienzeit in Heidelberg her. Ein guter Klinikchef.« Dorian sah in die Flammen des Kaminholzes. Er spürte, daß Angelas Blick auf ihm lag. Es gab noch eine andere, wichtigere, ans Herz gehende Frage. »Und du, Angela?«
»Ich gehe mit Bernd nach Zürich, Vater.«
»Natürlich.« Dorian nickte. Da sitze ich nun, dachte er. Ein berühmter Mann, aber ein alter Mann. Ich habe das Geheimnis des Gehirns entschleiert, aber das Einfachste ist mir mißlungen: die eigene Tochter zu halten. Alt und verlassen werde ich von nun an zwischen meinen Kranken leben, und meine Erholung wird nicht mehr das Lachen Angelas sein, sondern das Betrachten von Röntgenbildern traumatisch geschädigter Hirne. Während ich das Leben der Seele enträtsele, überrollt mich das Leben. Ich bin wirklich ein alter, armer Mann …
»Ich liebe Bernd, Papa«, sagte Angela in die Stille hinein. »Und wir haben noch ein ganzes Leben vor uns …«
»Ich verstehe.« Dorian wandte den Blick nicht von den brennenden Holzscheiten. »Ihr seht in mir einen starrköpfigen, alten Tyrannen. Keine Gegenbeteuerungen, Doktor Keller. Am meisten wird beim Abschied gelogen. Wann wollt ihr heiraten?«
»Weihnachten, Papa.«
»Ich werde doch sicherlich eingeladen?«
Das klang so bitter, daß Angela Tränen in die Augen schossen. Hilflos sah sie zu Dr. Keller. Er ist mein Vater. Ich bin das einzige, was er neben seinem Beruf noch hat. Sollen wir ihn so verlassen? So verbittert, so allein, so verwaist. Er hat es nicht verdient. Ein Genie ist immer einsam, heißt es … aber muß er es auch sein? Er hat doch uns … warum können wir nicht nachgeben.
Dr. Keller kaute an der Unterlippe. Der Abschied von Dorian fiel ihm schwerer, als er erwartet hatte nach den vielen grundsätzlichen Auseinandersetzungen der letzten Wochen. Die letzten Tage hatte man sich kaum noch gesehen. Man ging sich aus dem Wege, verkehrte nur noch telefonisch miteinander. Dr. Kamphusen assistierte nun allein bei den Operationen, Dorian lernte zwei junge Ärzte an, für Dr. Keller blieb der reine Stationsdienst, ein Abstellgleis der Medizin für einen Chirurgen und Wissenschaftler wie er. Und trotzdem, in dieser Stunde der Aussprache fühlte Dr. Keller Trauer. Er verließ mehr als eine Klinik und einen guten Chef … er verließ ein Stück Heimat und einen bisher väterlichen Freund.
»Wenn es Ihnen recht ist, Herr Professor«, sagte Dr. Keller gepreßt, »trete ich die Stelle in Zürich erst zum nächsten Quartal an …«
Dorian sah schweigend in die Kaminflammen. Angela tastete
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