Das Schloss der tausend Sünden
und sah ihn an. «Gestern Abend wollte es nicht anspringen.» Außerdem fiel ihr ein, dass Jonathan die Schlüssel in die Tasche seiner Shorts gesteckt hatte.
Oren zuckte mit den Schultern und warf ihr einen bescheidenen Blick zu, der wohl ausdrücken sollte, dass er ein Mann mit vielen Talenten wäre.
«Tja, danke», sagte Belinda ein bisschen zittrig. Dieser sanfte Riese hatte ihr Auto also kurzgeschlossen. «Ich werde mich lieber mal anziehen und es mir dann ansehen.»
Orens warme braune Augen blickten glatt durch den unzureichenden Stoff ihres Nachthemds hindurch. Nach einem Moment zuckten seine blonden Augenbrauen, fast als wollte er sagen, sie würde ihm in diesem Aufzug besser gefallen. Belinda errötete, als sie an den durchsichtigen Baumwollstoff dachte. Der stumme Mann war sehr charmant – offenbar konnte er alles sehen.
Sie nahm einen letzten Schluck von ihrem Kaffee und stand auf. «Gut. Dann werde ich mich jetzt mal anziehen», teilte sie erneut mit und ignorierte dabei die Fröhlichkeit in Orens Augen. «Bis später dann!» Sie warf ihm eine flüchtige Verabschiedungsgeste zu und ging in Richtung Haus.
Doch auf den Steinfliesen begann sie sofort zu springen wie ein Grashüpfer.
In der Zeit, in der sie ihr Frühstück eingenommen hatte, war die Sonne recht hoch gestiegen und brachte die Terrasse zum Glühen.
«Autsch! Oh Gott!», kreischte sie und lüftete das Nachthemd, um den Weg über die Fliesen schnellstmöglich hinter sich zu bringen.
Doch sie kam nur ein paar Schritte weit, als sie hinter sich eine schnelle, katzenartige Bewegung wahrnahm und schon im nächsten Moment im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft ging. Oren hatte sie hochgehoben und trug sie mühelos den Rest des Weges. Seine Füße waren offensichtlich zu wettergegerbt, um die brennende Hitze zu spüren.
«Danke. Vielen Dank», sagte Belinda atemlos vor Schock, während Oren einen seitlichen Schlenker machte, um mit ihr die Tür zu passieren.
Die junge Frau rechnete damit, dass er sie im Inneren des Hauses absetzen würde, doch Oren trug sie weiter durch die kühlen Räume. Ihr Gewicht schien seinem riesigen,muskulösen Körper nichts anzuhaben, und er konnte trotz der Last in seinen Armen recht schnell gehen.
Das Gefühl, mit solcher Stärke und Eleganz getragen zu werden, war so aufregend, dass Belinda zu protestieren vergaß. Die Brust, gegen die sie sich da kuschelte, war wie ein lebender Fels. Darunter konnte sie sein Herz schlagen hören. Sein Körper roch sehr frisch und sauber, aber nicht nach einem bestimmten Rasierwasser. Er war nur Mann – schlicht, ergreifend und frisch geduscht. Außerdem so stark, dass auch die lange Treppe seinem gleichmäßigen Atem nichts anhaben konnte.
«Schon gut. Von hier ab komme ich schon allein zurecht», kündigte Belinda an, als sie die oberste Stufe erreichten. Gleichzeitig war sie sich jedoch voll bewusst, dass sie ihn immer noch eng umschlungen hielt. Ihre Arme schienen diese Äußerung zu ignorieren, und anstatt ihn endlich loszulassen, umfassten sie seinen starken Hals nur noch fester.
Belinda machte sich ein wenig Sorgen, als die beiden schließlich bei ihrem Zimmer angelangten und Oren ihr Gewicht verlagerte, um die Tür zu öffnen. Was würde Jonathan denken, wenn er sah, wie sie von Oren getragen wurde?
Bin kurz duschen gegangen. Irgendwas hat mich ins Schwitzen gebracht. Ich lieb Dich total. Jonathan. Die Nachricht war kurz, lieb und mit einer langen Reihe von Kreuzchen unterzeichnet. Sie musste lächeln und dachte voller Zuneigung an ihren Freund. Das Unwetter, das Anwesen, Feltris und Elisa und André und alles – das war ein echtes Abenteuer. Aber nicht nur das. In einer bizarren Wendung hatte das Ganze sie und Jonathan einander wieder nähergebracht. Und das, wo es sie logischerweise eigentlich hätte auseinanderbringen müssen. Belinda gabden Zettel spontan an Oren weiter. Der lächelte und nickte, als wäre auch er ganz gerührt von Jonathans Gefühlsbekundungen.
Seltsam, dachte sie und betrachtete den attraktiven Hünen. Vor einer Minute noch hatte sie ihn irgendwie begehrt und ohne Zweifel auch ein Verlangen bei ihm gespürt. Und doch zeigte Oren keinerlei Ärger über Jonathans Nachricht und schien die Beziehung zu billigen, die der Inhalt nahelegte. Graf André war nicht der einzige ungewöhnliche und unergründliche Bewohner des Sedgewick-Klosters. Nein, auch seine Bediensteten waren auf ihre eigene Weise etwas ganz Besonderes.
Ich hätte ihn bitten
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