Das Schloss Im Moor
den Verwalter nach erfolgter Begrüßung seiner Kusine erwarten wolle.
Auf dem Wege zum Schloß fragte Senta leise: »Nun, sind Sie mit mir zufrieden?«
»Sehr! Doch Vorsicht! Wer weiß, wo Olga steckt!«
»Fräulein Schwester mißtraut mir, oder sie ist sehr stolz!«
Im Flur erwartete Wurm maliziös lächelnd die Kusine und spielte die Begrüßungskomödie
verabredungsgemäß mit aller verwandtschaftlichen Wärme.
Theo erklärte sodann den Wunsch Mamas, worauf Wurm sogleich in den Garten zur Frau Tristner eilte.
Das Pärchen pilgerte langsam die Treppe ins obere Stockwerk hinan, Senta konnte nicht genug die fürstliche
Pracht dieses Herrensitzes loben.
Theo erklärte, daß hier die Zimmer der Familie liegen, am Schlusse des Korridors das Junggesellenheim.
»Und wo werde ich einquartiert?« fragte sie mit feurigem Blick.
»Bitte, eine Treppe höher residieren die Besuchsherrschaften!«
»So hoch? Ich steige nicht gern hohe Treppen, möchte lieber im ersten Stockwerk
›residieren‹!«
»Bedaure wirklich sehr, die Anordnungen Mamas nicht ändern zu können!«
»Schade! Doch ich füge mich selbstverständlich! Mohammed kommt ja zum Berge, wenn dieser nicht zum
Propheten kommen kann, nicht?« lachte Senta und hing sich an Theos Arm.
Ein großer, elegant möblierter Salon mit Schlafgemach war für Fräulein Camacero bereit gehalten.
Senta jubelte bei diesem Anblick und umarmte Theo, ihn jäh küssend.
»Gott, wenn wir gesehen würden!« stotterte errötend der Schloßherr und suchte sich aus der
Umarmung zu befreien.
»Wir sind ja doch allein, und ich muß Ihnen meinen Dank bekunden! Bin ich Ihnen unsympathisch, weil Sie mich
nicht küssen wollen?«
»Gewiß nicht, im Gegenteil! Ich fürchte ja nur – das Erwischtwerden!«
»Keine Sorge! Flink den Gegenkuß, dann wollen wir hübsch sittsam sein, geschwisterlich
meinetwegen!«
Senta hielt hingebend das Köpfchen zu Theos Antlitz, hastig drückte der Schloßherr einen Kuß auf die
lockenden, schwellenden Lippen und lief hinweg wie ein beim Äpfelstehlen ertappter Schulknabe.
Senta murmelte: »Täppischer Grünschnabel!« und besichtigte dann die Einrichtung, bis der Diener ihr
Gepäck heraufbrachte. So umständlich kramte sie ihre Koffer aus und räumte deren Inhalt in Kasten und Laden,
als gelte es, sich auf Monate hinaus seßhaft zu machen, und dazu war sie auch fest entschlossen.
Verwalter Wurm hatte der Gebieterin warmen Dank für gütige Beherbergung seiner Kusine und hierauf den
gewünschten Geschäftsbericht erstattet, absichtlich in epischer Breite, damit Frau Tristner vergessen sollte, auf
die verwandtschaftlichen Beziehungen näher einzugehen. Eine Frage sprach die Matrone aber doch aus: »Herr
Verwalter, sagen Sie mir: Ist Ihre Kusine sehr hübsch?«
»Frau Tristner befürchten, daß Herr Theo Feuer fangen könnte? Bitte ergebenst, keine Sorge zu hegen,
meine Kusine ist nicht hübsch, gut gewachsen allerdings, doch reizlos, tugendhaft bis zur Prüderie, so was wie ein
›Emporfrömmling‹ und für Männer absolut ungefährlich, eher abstoßend!«
»So? Mir kam es vor, als habe das Fräulein etwas Einschmeichelndes, Ton und Sprache nehmen für die Person
ein, ich sympathisiere für Ihre Kusine, die mir bescheidener, dankbarer Art zu sein deucht.«
»Gnädige Frau sind wie immer huldreich und gütig. Ich werde dafür zu sorgen wissen, daß die
Ehre des Hauses gewahrt bleibt. Es ist indes keine Gefahr, wer sich in Senta verliebt, müßte ein Narr sein.
Reizlos und bettelarm, so was heiratet man nicht, ist selbst zum Flirten nicht geeignet.«
»Das klingt geradezu lieblos aus dem Munde eines Verwandten. Ich hätte Ihnen einen solchen Mangel an
Zartgefühl nicht zugetraut!«
»Die reine Wahrheit, Frau Tristner, ich spreche die Wahrheit auch dann, wenn ich Gefahr laufe, verkannt zu werden
und als Rauhbein zu erscheinen.«
»Genug davon! Bitte schicken Sie mir meine Tochter, ich will ins Haus geführt werden.«
»Zu Befehl! Darf ich vielleicht das Ehrenamt erbitten und gnädige Frau geleiten?«
»Danke sehr, Sie sind immer aufmerksam, ich will Sie nicht belästigen! Ist auch kein Genuß, eine alte
blinde Frau zu schleppen!«
»Aber, bitte tausendmal! Gnädige Frau stehen in den besten Jahren.«
»Still! Kein Wort mehr! Ich glaube gar, Sie wollen mir Elogen sagen!« zürnte Frau Helene, lächelte
aber doch etwas geschmeichelt. »Holen Sie mir meine Tochter!«
»Gehorsamster Diener!« rief Wurm, schnitt der Blinden
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