Das Schloss Im Moor
»Baron Hodenberg« Otto Höpfner heiße, Gastwirt in Bergedorf bei Hamburg war, von Osnabrück wegen
eines Totschlages, von Dresden wegen eines großen Diebstahls von Wertpapieren verfolgt werde.
Die Ernennung zum Landgerichtsrat hätte Doktor Thein kaum größere Freude bereiten können, als diese
Lektüre eines trockenen, doch inhaltsreichen Amtsschreibens. Nun war der Schleier des Hodenbergschen Geheimnisses
gelüftet und erklärt, warum der Gauner seine »hochgestellten Verwandten« in Hannover nicht nennen und
belästigen wollte. Fast fühlte sich Thein versucht, den Otto Höpfner sogleich vorzunehmen und ihm auf den Kopf
zu sagen, daß man nun alles wisse. Der Amtsrichter bezähmte diese Lust und wartete auf die Antwort aus Hannover,
wo die Polizei vielleicht auch etwas über den glücklich Verhafteten zu erzählen wußte. Richtig brachte
die Abendpost, die Doktor Thein in der Kanzlei erwartete, ein Schreiben der Hannoverschen Polizei, deren Recherchen ein nicht
minder interessantes Resultat ergaben: Die Mutter des Otto Höpfner war früher Kammerzofe im Hause Hodenberg zu
Hannover, Otto Höpfner habe den Namen »Hodenberg« angenommen. Von seiner Mutter dürfte Höpfner die
Hodenbergschen Familienverhältnisse einigermaßen erfahren und zu seinen Abstammungsangaben verwertet haben. Daraus
erkläre sich, daß der angebliche »Baron Hodenberg« keine genügenden Kenntnisse über Wappen
und dergleichen der Hodenbergschen Baronie besitze, seine Mutter dürfte davon nichts gewußt haben, und der Sohn
hielt es nicht der Mühe wert, heraldische Studien über »sein« Familienwappen zu betreiben. Ein
Verbrechen des Höpfner in Hannover sei amtlich nicht bekannt.
Das war eine wonnige Nachricht für ein Richterherz. Alles in präziser Weise aufgeklärt! Und doch nicht
alles, denn Doktor Thein erinnerte sich plötzlich, daß der »Hodenberg« mit dem Verwalter Wurm für
einen Augenblick in unverständlicher Sprache redete, auf Theins Einspruch dies unterließ, daß aber Wurm dann
noch einige fremdklingende Ausdrücke gebrauchte. Was kann das bedeutet haben? Dann noch eine Frage. Wurm wußte
anzugeben, daß »Hodenberg« aus Hamburg stamme; ist das besondere Kenntnis des Dialektes oder Bekanntschaft
Höpfners von früher her? Und sagte Wurm nicht vor der Gegenüberstellung mit »Hodenberg«, daß
der Häftling ein Gauner sei? Woher konnte das Wurm wissen? Wenn man herausbringen könnte, welcher Ausdrücke
sich Wurm zu »Hodenberg« bediente, wäre die Möglichkeit gegeben, den Verwalter Wurm etwas genauer zu
besehen und seinem Vorleben nachzuforschen. Wie das aber herausbringen? Wird Höpfner sich zu einer Aussage bequemen,
wenn ihm sein wahrer Name gesagt wird?
Thein nahm den Zettel zur Hand, auf dem er allerdings sehr flüchtig und unzuverlässig die ihm fremden
Ausdrücke Wurms in der Gegenüberstellung zu »Hodenberg« stenographisch notiert hatte, und übertrug
diese Worte in deutsche Schreibschrift. Inmitten dieser Arbeit überkam den Richter die Erinnerung, daß Wurm diese
Worte als Brocken aus der Gaunersprache bezeichnete. Nun enthält doch das »Handbuch für
Untersuchungsrichter« auch ein Vokabular der Gaunersprache, und in diesem dürfte eine Übersetzung der
rätselhaften Worte zu finden sein. Rasch suchte Doktor Thein und fand zu seiner Freude wirklich die Deutung: Keine
Fraselmahr! Alt tschak! Gaterling spinnen! – Keine Angst! Gut Freund! Ring hergeben! – Und das Wort
»schuffti!« ist mit »schweig!« übersetzt.
»Schau, schau!« flüsterte Doktor Thein vor sich hin, »wenn Wurm nicht auch Berufsgauner ist, dann
bin ich selbst ein Hochstapler!«
Der Richter kombinierte weiter: Die Kenntnis der Gaunersprache ist bei Wurm im höchsten Maße verdächtig,
bei Höpfner-Hodenberg allerdings sehr erklärlich. Was mögen beide Gauner jedoch in jenem Augenblick gesprochen
haben, da Thein die Unterhaltung in einer ihm fremden Sprache als unzulässig verboten hatte? Leider war eine
stenographische Fixierung nicht möglich gewesen. Sprachen die Gauner auch in jenem Moment rotwelsch behufs
Verständigung?
Doktor Thein ließ sich Höpfner-Hodenberg nun vorführen, der noch immer herrisch auftrat und den alten
Protest gegen die Untersuchungshaft vorbrachte.
Der Richter mußte lächeln über dieses Beginnen, und gleichsam liebkosend fuhr seine Hand über die
beiden Amtsschreiben der Polizeidirektionen von Hamburg und Hannover. »Ich habe Ihnen mitzuteilen, daß Ihre
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