Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schloss in Frankreich

Das Schloss in Frankreich

Titel: Das Schloss in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
ins Schloss. Er heiratete sie natürlich, und dort können Sie sie sehen.« Sie wies auf das Porträt eines etwa zwanzigjährigen englischen Mädchens mit honigfarbenem Teint. »Sie sieht nicht gerade unglücklich aus.«
    Mit diesem Kommentar schritt sie zum Flur und überließ Shirley dem lächelnden Anblick der gestohlenen Braut.
    Der Ballsaal präsentierte sich riesig groß, die weit entfernte Außenwand war mit bleigefassten Fenstern versehen, die den Raum noch mehr ausdehnten. Eine andere Wand war komplett verspiegelt und reflektierte die glänzenden Prismen von dreiarmigen Leuchtern, die ihr Licht versprühen würden wie Sterne von einer hochgewölbten Decke. Steiflehnige Regence-Stühle mit eleganten Polsterüberzügen standen in Reih und Glied für die Gäste da, die es bevorzugten, den tanzenden Paaren bei ihrem Vergnügen auf dem hochpolierten Parkett zuzusehen.
    Die Gräfin führte Shirley hinunter zu einem anderen engen Gang mit steilen Stufen, die sich spiralenförmig von den obersten Streben abhoben. Obwohl der Raum, den sie betraten, leer war, jubelte Shirley entzückt auf, als wäre er mit Schätzen überladen. Er war groß, lichtdurchflutet und völlig kreisförmig angelegt. Die hohen Fenster gestatteten den Sonnenstrahlen freien Zutritt zu jedem einzelnen Winkel. Sie stellte sich vor, dass sie hier mühelos und glücklich stundenlang in der Einsamkeit malen würde.
    »Ihr Vater hat diesen Raum als Atelier benutzt.« Die Stimme der Gräfin war wieder förmlich. Shirley kehrte in die Gegenwart zurück und wandte sich ihrer Großmutter zu.
    »Madame, wenn Sie wünschen, dass ich eine Zeit lang in diesem Haus verbringe, müssen wir uns einigen. Sollte das nicht möglich sein, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie zu verlassen.« Ihre Stimme klang fest, beherrscht, höflich und ernst, doch die Augen verrieten den Mut, zu kämpfen. »Ich habe meinen Vater und meine Mutter gleichermaßen geliebt und dulde den Ton nicht, in dem Sie über ihn sprechen.«
    »Ist es in Ihrem Land üblich, mit älteren Menschen in dieser Weise zu reden?« Erregt hob sie die königliche Hand.
    »Das betrifft nur mich, Madame«, erwiderte sie und stand aufrecht, mit hocherhobenem Kopf im strahlenden Sonnenlicht. »Ich teile auch keineswegs die Meinung, dass Alter immer mit Weisheit einhergeht. Zudem heuchle ich Ihnen gegenüber keine Lippenbekenntnisse, während Sie den Mann beschuldigen, den ich mehr als alle anderen geliebt und respektiert habe.«
    »Vielleicht wäre es ratsam, nicht mehr über Ihren Vater zu sprechen, solange Sie bei uns weilen.« Dieser Vorschlag war ein unmissverständlicher Befehl, und Shirley sträubte sich heftig dagegen.
    »Ich beabsichtige aber, über ihn zu sprechen, Madame. Ich möchte unbedingt herausfinden, was mit der Madonna von Raphael geschehen ist, und den Makel bereinigen, der auf Grund Ihrer Beschuldigung auf dem Namen meines Vaters lastet.«
    »Und wie stellen Sie sich das vor?«
    »Ich weiß es nicht«, schleuderte sie ihr entgegen, »doch ich werde es tun.« Sie durchquerte das Zimmer und spreizte unbewusst die Hände. »Vielleicht ist das Bild im Schloss versteckt, oder aber irgendjemand anders hat es entwendet.« Sie drehte sich in plötzlichem Zorn zu der alten Dame um. »Vielleicht haben Sie es verkauft und belasteten meinen Vater mit dem Verdacht.«
    »Das ist eine Beleidigung«, erwiderte die Gräfin, und ihre blauen Augen sprühten wütend.
    »Sie bezeichnen meinen Vater als Gauner und wagen zu behaupten, dass ausgerechnet ich Sie beleidige?« Zutiefst erbost standen sie sich gegenüber. »Ich kannte Jonathan Smith, Gräfin, Sie hingegen kenne ich nicht.«
    Schweigend betrachtete die Gräfin die zornige junge Frau. Sie wurde nachdenklich. »Das ist wahr«, nickte sie. »Sie kennen mich nicht, und ich kenne Sie nicht. Da wir einander fremd sind, darf ich Ihnen nicht die Schuld aufbürden. Darüber hinaus kann ich Ihnen nicht zum Vorwurf machen, was geschehen ist, ehe Sie geboren wurden.« Sie trat zu einem der Fenster und schaute wortlos hinaus. »Ich habe meine Meinung über Ihren Vater nicht geändert«, sagte sie schließlich.
    Dann drehte sie sich wieder um und erhob die Hand, um Shirley an einer Antwort zu hindern. »Aber ich war ungerecht, was seine Tochter betrifft. Auf meine Bitte hin kamen Sie als Fremde in mein Haus, und ich habe Ihnen einen unwürdigen Empfang bereitet. Dafür möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen.« Ihre Lippen umspielte ein kleines Lächeln.

Weitere Kostenlose Bücher