Das Schloss in Frankreich
veränderte. »Sie sind wild, diese Kergallens, herrschsüchtig und anmaßend männlich. Die Frauen, denen sie ihre Liebe schenken, durchleben Himmel und Hölle mit ihnen.« Die blauen Augen lächelten erneut. »Ihre Frauen müssen stark sein, oder sie werden niedergetreten. Und sie müssen klug sein, um zu wissen, wann sie schwach sein können.«
Shirley hatte ihrer Großmutter aufmerksam zugehört. Sie schüttelte den Bann ab und schob den Teller zur Seite, weil ihr der Appetit auf Garnelen vergangen war. Sie nahm den Gesprächsfaden auf, um ein für alle Mal ihre Einstellung kundzutun: »Madame, ich habe nicht die Absicht, am Wettbewerb um den Grafen teilzunehmen. Soweit ich es beurteilen kann, passen wir nicht im Geringsten zueinander.« Sie erinnerte sich plötzlich an den verführerischen Druck seiner Lippen, an das fordernde Drängen seines Körpers, und sie erbebte. Sie schaute ihre Großmutter an und schüttelte entrüstet den Kopf. »Nein.« Sie dachte nicht weiter darüber nach, ob sie nun zu ihrem Herzen sprach oder zu der Frau ihr gegenüber, sondern stand auf und eilte ins Schloss zurück.
Der Vollmond war am sternenübersäten Himmel aufgegangen, und sein silbernes Licht flutete durch die hohen Fenster, als Shirley aufwachte. Sie fühlte sich elend, schmerzbetäubt und angewidert. Obwohl sie sich schon früh unter dem Vorwand starker Kopfschmerzen zurückgezogen hatte, um dem Mann zu entfliehen, der unentwegt ihre Gedanken beanspruchte, schlief sie nicht sofort ein. Und nun, nach nur wenigen Stunden der Ruhe, war sie hellwach. Sie wälzte sich in dem übergroßen Bett und stöhnte leise, weil ihr Körper revoltierte.
Jetzt bezahle ich den Preis für das kleine Abenteuer am Morgen. Sie wand sich vor Schmerzen und setzte sich mit einem tiefen Seufzer auf. Vielleicht hilft mir ein heißes Bad, hoffte sie im Stillen. Viel lahmer kann ich davon ja auch nicht werden. Sie erhob sich. Die Beine und Schultern protestierten heftig gegen diese Bewegung. Sie zog sich gar nicht erst den Morgenmantel über, der am Fuß des Bettes ausgebreitet lag, sondern tastete sich durch den matt erleuchteten Raum zum angrenzenden Badezimmer. Dabei stieß sie heftig mit einem zierlichen Louis-XVI-Stuhl zusammen.
Sie schimpfte ärgerlich über den zusätzlichen Schmerz, rieb sich das Bein, rückte den Stuhl wieder zurecht und lehnte sich daran. »Was gibt es?« rief sie unwillig, als es an der Tür pochte.
Sie raffte sich auf, und Christophe trat ein, nachlässig in einen königsblauen Morgenmantel gekleidet. Er betrachtete sie eingehend. »Haben Sie sich verletzt, Shirley?« Sie brauchte ihn nicht erst anzusehen. Sein Spott war unüberhörbar.
»Ich habe mir nur ein Bein gebrochen«, fauchte sie. »Machen Sie sich keine Mühe.«
»Darf ich mir wenigstens die Frage erlauben, warum Sie hier im Dunkeln herumtappen?« Er lehnte sich gegen den Türrahmen, kühl, völlig gelassen, und seine Überlegenheit machte Shirley nur noch zorniger.
»Ich werde Ihnen genau sagen, weshalb ich hier im Dunkeln herumstolpere, Sie selbstgefälliges Ungeheuer«, sagte sie erzürnt. »Ich wollte mich in der Badewanne ertränken, um mich dem Elend zu entziehen, in das Sie mich heute gestürzt haben.«
»Wieso ich?« fragte er unschuldig, während er den Blick über sie gleiten ließ. Ihre Gestalt wirkte schlank und golden im schimmernden Mondlicht. Ihr hauchzartes Nachtgewand ließ die langen, schön geformten Beine und die makellose Alabasterhaut frei. Sie war zu aufgebracht, um auf seinen abschätzenden Blick zu reagieren. Und sie bemerkte nicht, dass das Mondlicht durch ihr Gewand sickerte und ihre Körperformen hervorhob.
»Ja, Sie«, schleuderte sie ihm entgegen. »Sie haben mich heute Morgen auf Trab gebracht. Und jetzt rächt sich jeder einzelne Muskel an mir.« Stöhnend rieb sie mit der Handfläche über den schmalen Rücken. »Wahrscheinlich werde ich niemals wieder aufrecht gehen können.«
»Ach.«
»Wie viel doch eine einzige Silbe auszudrücken vermag.« Sie blickte ihn fest, mit aller ihr zur Verfügung stehenden Würde an. »Könnten Sie das noch einmal wiederholen?«
»Armer Liebling«, murmelte er mit übertriebener Sympathie. »Es tut mir ja so Leid.« Er reckte sich und ging auf sie zu. Da wurde sie sich ihrer sparsamen Bekleidung bewusst, und ihre Augen öffneten sich weit.
»Christophe, ich ...« Mehr brachte sie nicht heraus. Denn seine Hände berührten ihre nackten Schultern, und die Worte, die sie eigentlich noch
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