Das Schloß
Herrenhof und die Freundschaft Klamms.« Frieda hob ihr Gesicht, ihre Augen waren voll Tränen, nichts von Sieghaftigkeit war in ihnen. »Warum ich? Warum bin gerade ich dazu ausersehn?« »Wie?« fragten K. und die Wirtin gleichzeitig. »Sie ist verwirrt, das arme Kind«, sagte die Wirtin, »verwirrt vom Zusammentreffen zuvielen Glücks und Unglücks.« Und wie zur Bestätigung dieser Worte stürzte sich Frieda jetzt auf K., küßte ihn wild, als sei niemand sonst im Zimmer und fiel dann weinend, immer noch ihn umarmend, vor ihm in die Knie. Während K. mit beiden Händen Friedas Haar streichelte, fragte er die Wirtin: »Sie scheinen mir recht zu geben?« »Sie sind ein Ehrenmann«, sagte die Wirtin, auch sie hatte Tränen in der Stimme, sah ein wenig verfallen aus und atmete schwer, trotzdem fand sie noch die Kraft zu sagen: »es werden jetzt nur gewisse Sicherungen zu bedenken sein, die Sie Frieda geben müssen, denn wie groß auch nun meine Achtung vor Ihnen ist, so sind Sie doch ein Fremder, können sich auf niemanden berufen, Ihre häuslichen Verhältnisse sind hier unbekannt, Sicherungen sind also nötig, das werden Sie einsehn, lieber Herr Landvermesser, haben Sie doch selbst hervorgehoben, wieviel Frieda durch die Verbindung mit Ihnen immerhin auch verliert.« »Gewiß, Sicherungen, natürlich«, sagte K., »die werden wohl am besten vor dem Notar gegeben werden, aber auch andere gräfliche Behörden werden sich ja vielleicht noch einmischen. Übrigens habe auch ich noch vor der Hochzeit unbedingt etwas zu erledigen. Ich muß mit Klamm sprechen.« »Das ist unmöglich«, sagte Frieda, erhob sich ein wenig und drückte sich an K., »was für ein Gedanke!« »Es muß sein«, sagte K., »wenn es mir unmöglich ist es zu erwirken, mußt Du es tun.« »Ich kann nicht, K., ich kann nicht«, sagte Frieda, »niemals wird Klamm mit Dir reden. Wie kannst Du nur glauben, daß Klamm mit Dir reden wird!« »Und mit Dir würde er reden?« fragte K. »Auch nicht«, sagte Frieda, »nicht mit Dir, nicht mit mir, es sind bare Unmöglichkeiten.« Sie wandte sich an die Wirtin mit ausgebreiteten Armen: »Sehen Sie nur Frau Wirtin, was er verlangt.« »Sie sind eigentümlich, Herr Landvermesser«, sagte die Wirtin und war erschreckend wie sie jetzt aufrechter dasaß, die Beine auseinandergestellt, die mächtigen Knie vorgetrieben durch den dünnen Rock, »Sie verlangen Unmögliches.« »Warum ist es unmöglich?« fragte K. »Das werde ich Ihnen erklären«, sagte die Wirtin in einem Ton, als sei diese Erklärung nicht etwa eine letzte Gefälligkeit, sondern schon die erste Strafe, die sie austeile, »das werde ich Ihnen gern erklären. Ich gehöre zwar nicht zum Schloß und bin nur eine Frau und bin nur eine Wirtin hier in einem Wirtshaus letzten Ranges – es ist nicht letzten Ranges, aber doch nicht weit davon – und so könnte es sein, daß Sie meiner Erklärung nicht viel Bedeutung beilegen, aber ich habe in meinem Leben die Augen offen gehabt und bin mit viel Leuten zusammengekommen und habe die ganze Last der Wirtschaft allein getragen, denn mein Mann ist zwar ein guter Junge, aber ein Gastwirt ist er nicht und was Verantwortlichkeit ist, wird er nie begreifen. Sie z.B. verdanken es doch nur seiner Nachlässigkeit – ich war an dem Abend schon müde zum Zusammenbrechen – daß Sie hier im Dorf sind, daß Sie hier auf dem Bett in Frieden und Behagen sitzen.« »Wie?« fragte K. aus einer gewissen Zerstreutheit aufwachend, aufgeregt mehr von Neugierde, als von Ärger. »Nur seiner Nachlässigkeit verdanken Sie es«, rief die Wirtin nochmals mit gegen K. ausgestrecktem Zeigefinger. Frieda suchte sie zu beschwichtigen. »Was willst Du«, sagte die Wirtin mit rascher Wendung des ganzen Leibes, »der Herr Landvermesser hat mich gefragt und ich muß ihm antworten. Wie soll er es denn sonst verstehn, was uns selbstverständlich ist, daß Herr Klamm niemals mit ihm sprechen wird, was sage ich ‚wird›, niemals mit ihm sprechen kann. Hören Sie Herr Landvermesser. Herr Klamm ist ein Herr aus dem Schloß, das bedeutet schon an und für sich, ganz abgesehen von Klamms sonstiger Stellung, einen sehr hohen Rang. Was sind nun aber Sie, um dessen Heiratseinwilligung wir uns hier so demütig bewerben. Sie sind nicht aus dem Schloß, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind nichts. Leider aber sind Sie doch etwas, ein Fremder, einer der überzählig und überall im Weg ist, einer wegen dessen man immerfort Scherereien hat, wegen
Weitere Kostenlose Bücher