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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Maßstab und weniger kompliziert als der Plan, den er morgens für sie und Louise angefertigt hatte. Cora schaute über ihre Schulter. Eine Frau mit blondem Bubikopf und einem Rock, der ihre nackten Knie zeigte, saß allein an einem Tisch und rauchte eine Zigarette. Sie drehte sich um und sah, dass Cora sie beobachtete. Cora wandte verlegen den Blick ab.
    Er schob ihr die Serviette zu. »Damit finden Sie hin. Sagen Sie, was wollen Sie denn auf der Fünfzehnten?«
    »Oh.« Cora rückte ihren Hut zurecht. »Nur eine alte Freundin besuchen.«
    »Ja?« Er legte den Kopf schief.
    »Warum? Ist es eine schlechte Gegend?«
    »Ist okay.« Er zuckte die Achseln. »Nicht weit von den Docks.«
    Cora starrte auf die Stahlplatte der Theke, auf ihr verschwommenes Spiegelbild. Ja. Ja. Sie erinnerte sich an das sonore Tuten von Schiffen. Sie berührte ihr Glas, um ihre Hand ruhig zu halten.
    »Es ist keine schlimme Gegend.« Wieder senkte er die Stimme. »Hauptsächlich Iren. Und Italiener. Eigentlich alle möglichen Nationalitäten. Ihnen passiert schon nichts, wenn Sie Ihre Tasche gut festhalten. Ein paar von den Kindern dort sind wirklich fix.« Er zeigte mit einer Kopfbewegung auf ihre Hand. »Den Ring sollten Sie vielleicht lieber zu Hause lassen. Wenn den jemand in die Pfandleihe bringt, bekommt er genug Geld, um eine zehnköpfige Familie ein Jahr lang zu ernähren.«
    Sie betrachtete ihren Hochzeitsring, den auf europäische Art geschliffenen Diamanten. Sie und Alan hatten ihn gemeinsam ausgesucht. Sie blickte wieder auf.
    »Herrje, ich wollte Ihnen keine Angst machen. So schlimm ist es da unten gar nicht. Wirklich nicht. Wissen Sie was? Wenn Sie dort sind, sind Sie nur ein paar Blocks vom Chelsea Hotel entfernt. Es ist berühmt. Mark Twain hat dort gewohnt. Und Lillian Gish. Richtig schöne Häuser gibt es da. Warten Sie, ich trage es auf meinem Plan ein.« Wieder beugte er sich vor und markierte ein paar Stellen. »Gehen Sie einfach die Eighth Avenue hinauf, wenn Sie es sehen wollen.« Er machte ein besorgtes Gesicht, als er ihr die Serviette gab. »He, ich wollte nicht sagen, dass irgendwas an den Docks oder den Leuten, die da leben, nicht in Ordnung ist. Das wollte ich wirklich nicht. Da sind bloß viele Ausländer und hungrige Kinder. Aber schlimm ist es nicht.«
    »Danke.« Sie öffnete wieder ihre Tasche und nahm drei Zehn-Cent-Stücke heraus, Bezahlung plus großzügiges Trinkgeld. Er hatte Louise die harte Wahrheit über ihren Akzent gesagt. Und jetzt hatte er Cora einen Gefallen getan, indem er sie ebenfalls auf eine harte Wahrheit hinwies.
    »He, he«, sagte er und trat zurück. »Der Tee geht auf mich, schon vergessen? Sie wollten doch ein gutes Wort für mich einlegen, oder?« Er zeigte auf sie und dann auf sich selbst. »Ich dachte, wir stecken unter einer Decke.«
    Sie musste lachen. Ein netter Junge, dieser Floyd Smithers. Er erinnerte sie an ihren Howard, vier Minuten älter als sein Bruder und wie es schien, von Anfang an furchtlos und bereit, die Welt zu erobern. Sie vermisste die beiden. Und sie machte sich Sorgen. Heute Abend würde sie ihnen schreiben und sie ermahnen, gut auf sich aufzupassen. Auf einer Farm konnte es leicht zu Unfällen kommen.
    »Danke für die Wegbeschreibung.« Sie zog ihre Handschuhe an und griff nach der Serviette. »Ich fürchte, bei meiner jungen Freundin kann ich Ihnen nicht helfen. Sie ist übrigens wirklich noch sehr jung. Fünfzehn. Sie ist in New York, um Tanz zu studieren. Und ich bin mitgekommen, um auf sie aufzupassen.«
    »Aber ich wollte doch bloß –«
    Cora hob eine Hand. »Sie sollten Ihre Hoffnung in eine andere Richtung lenken.«
    Er sah sie an, als wollte er ihr ein schlechtes Gewissen machen, als wäre sie im Irrtum, als hätte sie ihm etwas geraubt. Dennoch empfand sie kein Bedauern, als sie ging. Er war ein guter Junge mit einer guten Zukunft. Sie hatte ihm einen Gefallen getan.
    In der U-Bahn war es tatsächlich heiß und stickig. Sie hatte gehofft, wenn sie erst einmal aus der Sonne war, würde es kühler sein, aber es war schrecklich überfüllt, und die Luft im Waggon war abgestanden und muffig und roch nach ungewaschenen Menschen und Urin. Dennoch spürte sie, wie schnell der Zug fuhr, und es war aufregend, ungehindert unter der Erde dahinzurasen. Weil die Sitzplätze alle besetzt waren, blieb sie stehen und hielt sich an einem Ledergriff fest, während sie zwei alten Männern, die sich anscheinend auf Französisch stritten, und einem anderen, der

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