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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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erinnerte. Aber das war nicht der Grund, warum sie gekommen war, und als sie der Nonne in den Flur und zur Haustür folgte, folgsam wie das Kind, das sie gewesen war, empfand sie denselben Zorn wie an dem Tag, als sie damals in Wichita Schwester Eugenias Brief bekommen hatte. Wie kamen diese alten Frauen mit ihrem Klosterleben dazu, ihr vorzuschreiben, was sie wissen sollte und was nicht? Was sie brauchte und was nicht?
    »Ich sehe, dass Sie enttäuscht sind«, sagte Schwester Delores. Ihre Stimme war jetzt milder, aber ihre hellen Augen blieben unbewegt. »Das verstehe ich. Aber bedenken Sie bitte, dass mir nur daran gelegen ist, Sie zu schützen. Vor sich selbst. Sie glauben, dass Sie mehr wissen wollen, als Sie ohnehin schon wissen.«
    Die Haustür ging auf, und der Handwerker kam herein. Er sah Cora direkt ins Gesicht, als ob es ihn betroffen machte, wie verstört sie war. Sie senkte den Blick und ging an ihm vorbei. Und dann gab es nur noch die süßlich duftende Luft, als sie hinaustrat, und das Geräusch der Tür, die sich hinter ihr schloss.

9
    In der Pause sagte Louise, das Problem bei den Ziegfeld Follies sei, dass sie mit zu großen Erwartungen gekommen wäre.
    »Die Show ist gut«, sagte sie zu Cora und befingerte die Perlenkette um ihren Hals. »Aber die Revuemädchen? Hübsche Gesichter und aufwendige Kostüme. Langweilig. Ein, zwei Mädchen sind vielleicht wirklich schön, mehr aber nicht. Ich habe noch nie so viele Menschen mit einem gekünstelten Lächeln auf einmal gesehen.«
    »Sprich etwas leiser«, raunte Cora ihr zu. Das große Foyer des Theaters war voller Männer und Frauen, die in kleinen Gruppen herumstanden und sich unterhielten. Ein Schild wies zur Raucherlounge für Herren, aber auch viele der Frauen rauchten, und soweit Cora es beurteilen konnte, war niemand an einer Trennung nach Geschlechtern interessiert.
    »Passen Sie auf, was ich jetzt sage«, fuhr Louise nur unwesentlich leiser fort. »Wenn ich auf der Bühne stehe, werde ich nicht einfach lächeln, weil es mir jemand sagt. Ich werde nur lächeln, wenn es echt ist.«
    Cora seufzte und hob den Blick zu der hohen, gläsernen Kuppeldecke des Foyers. Jeder Zentimeter des New Amsterdam Theaters war verziert und ausgeschmückt, mit verschlungenen Ranken und Blumen und Vögeln, die in die Wände geschnitzt waren, und dazu passenden Mustern auf den grün-lila Teppichen. Sie fand, dass allein die prachtvolle Umgebung, ganz zu schweigen von der gekühlten Luft aus den elektrischen Ventilatoren, den Eintrittspreis wert war. All das hatte ihre Stimmung gehoben und ihre Gedanken zumindest vorübergehend von ihrer Niederlage bei Schwester Delores abgelenkt. Sie hatte erst ihre Fassung wiederfinden müssen, bevor sie Louise abholte – die sich anscheinend nicht so gut darauf verstand, erzwungene Fröhlichkeit zu durchschauen, wie sie dachte. Entweder das, oder Cora war eine bessere Schauspielerin als die Revuemädchen.
    Und jetzt genoss sie die Show tatsächlich und war für die Ablenkung dankbar. Sie konnte es kaum erwarten, Alan und den Jungs zu berichten, dass sie in die Ziegfeld Follies gegangen war und Will Rogers persönlich gesehen hatte, ganz zu schweigen von Fanny Brice in ihrer Verkörperung einer Ballerina. Cora fand die Revuemädchen alle bildhübsch, obwohl ihr nicht klar war, warum die Mädchen – sogar in der Nummer, in der jede von ihnen eine bestimmte Blume in einem Brautbukett verkörperte! – derart offenherzige Kostüme tragen mussten, die viel Bein und manchmal noch einiges mehr zeigten. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn die Mädchen ihren mit Federn überladenen Kopfputz abgenommen und damit ihre Oberschenkel verhüllt hätten.
    Sie drehte sich zu Louise um. »Wie kommst du darauf, dass ihr Lächeln falsch ist? Wir sitzen im ersten Rang in der hinteren Reihe.«
    »Ich habe es eben gemerkt. Es war alles unecht.«
    Louise starrte in die Menge, zog ihre Kette an ihren Mund und schob eine Perle zwischen ihre Lippen. Cora berührte die Hand des Mädchens und schüttelte den Kopf. Es war schwer zu sagen, wann sie gerade versuchte, zu provozieren oder Aufmerksamkeit zu erregen, und wann sie einfach nur gedankenlos war. Heute Abend trug sie ein ärmelloses Kleid, das so schwarz war wie ihr Haar, und wenn sie nicht gerade auf ihrem Schmuck herumkaute, sah sie eleganter aus als jede andere Frau im Raum.
    »Ich dachte, du liebst das Theater«, sagte Cora. »Täuschen Leute, die auf der Bühne stehen, nicht ständig Gefühle vor?

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