Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Es hatte nichts mit Barmherzigkeit zu tun. Alan liebte sie, liebte sie genau so, wie sie ihn liebte. Das hatte er ihr immer wieder gesagt, voller Aufrichtigkeit und mit einem Ausdruck von Hoffnung und Güte in seinen Augen. Er war es, der Glück hatte, sagte er. Er hatte sein ganzes Leben nach ihr gesucht.
Die Tür hatte sich kaum hinter Raymond Walker geschlossen, als Alans Vater aufstand, sein Glas erhob und feierlich verkündete, wie ungemein glücklich er und Alans Mutter wären, eine so feine junge Frau wie Cora in ihrer Familie willkommen heißen zu dürfen, und dass Alan sie sehr stolz machte und dass sie ihnen beiden viele Kinder und glückliche Jahre wünschten. Er durchquerte den Saal, schüttelte Alans Hand und umarmte ihn unter lautem Beifall, und dann war es, als wäre der schreckliche Auftritt Raymond Walkers nie passiert. Als Alan wieder Platz nahm und nach ihrer Hand griff, sah sie zu ihrer Überraschung, dass er Tränen in den Augen hatte. Das Gefühl von Demütigung verblasste, und sie war gerührt, weil ihm die Worte seines Vaters so viel bedeuteten.
Der einzige Rat, den Cora jemals zum Thema Sex bekam, stammte von Mrs. Lindquist, die ihr wenige Wochen vor der Hochzeit mitteilte, dass sie ihr zwar keine Angst machen wollte, aber Cora ihrer Meinung nach wissen sollte, dass Männer sich insofern von Frauen unterschieden, als sie häufig Sklaven ihrer Triebe waren und wesentlich mehr Verlangen zeigten, als für ein harmonisches Zuhause mit einer angemessenen Anzahl von Kindern erforderlich war. Es war die Pflicht einer Ehefrau, erklärte sie Cora, sich einerseits diesem Verlangen zu unterwerfen, es andererseits aber zu zügeln, denn es war eine gewaltige Kraft, und man konnte von einem Ehemann, selbst wenn er ein Gentleman war, nicht immer erwarten, dass er mit dem Kopf dachte.
»Es ist dasselbe, wie Pferde und Hunde zu füttern«, fügte sie hinzu, während sie ein Ei aufschlug. »Du willst sie nicht hungern lassen. Aber sie wollen immer mehr, als sie brauchen.«
Cora hatte keine Angst. Im Gegenteil, der Gedanke, dass sie wenigstens auf diesem Gebiet der Ehe die Oberhand hatte, faszinierte sie. Sie würde diese Macht nicht missbrauchen. Sie hatte, um bei Mrs. Lindquists Vergleich zu bleiben, nicht die Absicht, ihren hübschen Verlobten hungern zu lassen, nicht einmal für kurze Zeit. Aber immerhin war er älter als sie und gebildeter und mehr daran gewöhnt, Geld zu haben und in einer Großstadt zu leben und in guter Gesellschaft zu verkehren. Obwohl sich ihre Sprechweise durch eifriges Studieren der Grammatik und den Umgang mit Alan und seiner Familie verbessert hatte, fühlte sich Cora ihm nie ebenbürtig, schon gar nicht, wenn sie zusammen in der Öffentlichkeit waren. Aber falls Mrs. Lindquist recht hatte, würde er ihr in den intimeren Bereichen der Ehe ausgeliefert sein, obwohl sie praktisch nichts darüber wusste.
Und tatsächlich wirkte ihr kultivierter und wohlerzogener Alan in den ersten gemeinsamen Nächten als Mann und Frau wie ein Besessener. Seine zärtlichen Liebkosungen hörten auf, als er sich auf ihr bewegte, und seine Hände krallten sich in das Kissen über ihren Schultern, als bräuchte er etwas, woran er sich festhalten konnte, um ihr nicht wehzutun. Ohne den Pfefferminzgeruch seines Aftershaves hätte sie in ihm kaum den Mann wiedererkannt, der sich tagsüber lachend über faule Gerichtsschreiber beschwerte und ihr Schach beibrachte und ihr beim Bummeln auf der Douglas Avenue den Arm bot. In ihrem Zimmer konnte sie ihn nicht sehen. Er kam immer erst zu ihr, wenn es dunkel war, und er brachte nie eine Lampe mit. Dafür war sie dankbar. Bei Licht hätte sie sich Gedanken gemacht, wie ihr Gesichtsausdruck sein sollte. Duldsam? Entschlossen? Sie wusste es nicht. Sie hatte auf der Farm Tiere bei der Paarung gesehen, deshalb war ihr der mechanische Ablauf von Sex klar, aber sie wusste nichts darüber, wie sie sich als Mensch, als Frau verhalten sollte. Angesichts seines Alters bezweifelte sie, dass auch Alan noch Jungfrau war, und sie befürchtete, in ihrer Unwissenheit etwas Unerhörtes zu tun und sich zu blamieren. Auch im Dunkeln wusste sie nicht, ob sie einfach still liegen sollte oder ob es in Ordnung wäre, ihre Arme und Beine um ihn zu schlingen, wie sie es sich insgeheim wünschte. Sie wollte nicht sexsüchtig erscheinen. Aber sie wollte auch nicht, dass er glaubte, sie würde sich langweilen, denn wenn überhaupt, sehnten sich ihr Körper und ihr Geist danach, dass er
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