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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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seinen Vater trat.
    Mabel stieß das Mädchen sanft an.
    Guten Tag, sagte Faina ruhig.
    Großer Gott, sagte Esther. Es gibt sie wirklich. Euer Mädchen ist aus Fleisch und Blut.

    In den folgenden Stunden herrschte ein gewisses Unbehagen. Esther bemühte sich, Faina an dem Regen von Geschenken und Leckerbissen teilhaben zu lassen, als hätte sie von Anfang an gewusst, dass das Mädchen da sein würde.
    Hier. Das ist für dich, sagte sie und gab ihr ein eingewickeltes Päckchen.
    Faina sagte nichts, streckte zunächst nicht einmal die Hände danach aus. Mabel und Jack hielten sich eben noch davon zurück, einzugreifen. Schließlich nahm das Mädchen die Gabe entgegen und hielt sie mit ernster Miene im Schoß.
    Na, nun weiter. Willst du es nicht aufmachen?, fragte Esther.
    Faina wirkte so verschreckt und verwirrt, ihre Wangen hatten ein solch ungesundes Puterrot angenommen, dass Mabel am liebsten die Tür geöffnet hätte, um sie in die Kälte entfliehen zu lassen.
    Brauchst du Hilfe, Faina?
    In der Blockhütte war es brütend heiß. Niemand sprach ein Wort. Aller Augen ruhten auf dem Mädchen. Endlich begann sie, das Papier zu lösen. Als sie zu guter Letzt ein mit Blumen besticktes Taschentuch emporhielt und wie zum Zeichen höflicher Anerkennung lächelte, war Mabel vor Erleichterung einer Ohnmacht nahe.
    Danke, sagte Faina, und in Esthers Augen glitzerte es.
    Als die beiden Familien sich zum Abendessen setzten, ließ die Spannung nach. Faina blieb still, doch sie bewies gute Manieren, reichte auf Bitten artig Speisen weiter und ließ gelegentlich ein kurzes Lächeln sehen. Garrett allerdings wirkte außerstande, den Mund aufzutun oder auch nur jemandem in die Augen zu sehen, insbesondere dem Mädchen. Allein ihre Gegenwart schien für ihn wie ein Schlag ins Gesicht zu sein, und Mabel vermochte sich keinen Reim darauf zu machen.

    «Der Junge hat dieses Jahr schon einen Haufen Luchse gefangen», sagte George mit einem großen Happen Früchtebrot im Mund. «Die Hasen haben sich kräftig vermehrt, und deshalb wimmelt es im Tal nur so von Raubkatzen.»
    «Tatsächlich?», fragte Jack.
    Mabel sah zu Garrett hin; sein Gesicht erinnerte sie an den ersten Sommer, in dem er bei ihnen auf dem Hof gearbeitet hatte – reizbar, mürrisch.
    «Na, was ist? Der Mann hat dich was gefragt.» George legte den Arm auf die Rückenlehne von Garretts Stuhl. Garrett blickte wieder auf seinen Teller und nuschelte etwas.
    «Hmmm», sagte Jack freundlich, obwohl er, wie Mabel sah, Garretts Antwort ebenfalls nicht verstanden hatte.
    «Was ist los mit dir, Junge? Nun red schon. Musst dich doch für nichts schämen. Hast dich dieses Jahr wacker geschlagen als Fallensteller.»
    «Ja, stimmt, ich hab ein paar erwischt.» Schon war sein Kopf wieder gesenkt, und er stocherte in der Nachspeise herum, ohne einen Bissen zum Mund zu führen.
    War das der Junge, den sie ehrenhalber zum Sohn ernannt hatten, der da nun so griesgrämig dreinblickte? Hatte Garrett nicht an ebendiesem Tisch Jack die Hand geschüttelt und ihm versichert, wie glücklich er sich schätzte, Teilhaber an der Farm zu werden und sie eines Tages zu erben?
    Für den Rest des Abends war aus dem Jungen kein weiteres Wort herauszubringen.
    George und Esther gaben unverdrossen ihre Geschichten zum Besten, Mabel räumte das Geschirr zusammen und lief hinter Faina auf und ab. Das Mädchen sank in ihrem Stuhl immer mehr zusammen, auf ihrem Nasenrücken sammelten sich Schweißperlen. Mabel fächelte ihr mit einer Serviette Luft zu und tupfte ihre Schläfen ab.
    Zu warm, viel zu warm, flüsterte sie vor sich hin.
    Endlich fanden die Bensons, es sei Zeit zum Aufbruch, und voller Erleichterung sah Mabel sie alle zur Tür hinaus verschwinden – George, Esther und Garrett zu ihrem Wagen und dem Pferdegespann und Faina in den verschneiten Wald.

Kapitel 40
    Fluchend trieb Garrett sein Pferd den steilen Hang hinauf, über den die Fußspuren führten. Er duckte sich unter einen Fichtenzweig, wurde aber dennoch mit Schnee eingedeckt. Als er die Kammhöhe erreicht hatte, zügelte er das Pferd, schüttelte sich den Schnee von den Schultern und beugte sich im Sattel zur Seite. Die Spuren waren alt, formlose Dellen unter fast einer Handbreit Neuschnee, aber es waren ihre. Das Pferd tänzelte ungeduldig, und Garrett entschied, weiter den Spuren zwischen den Fichten zu folgen.
    Er war es allmählich leid mit dem Mädchen. Sechs Jahre hörte er Jack nun schon von ihr reden. Faina, Faina, Faina. Der Engel

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