Das Schneemädchen (German Edition)
ein, doch die wuchtigen Flügel schlugen weiter, trotz des Gewichts, das auf ihnen lastete. Das Mädchen klammerte sich fest, drehte das Gesicht zur Seite und packte den Schwan bei seinem sehnigen Hals, ließ die Hand fast bis zu seinem Kopf hinaufgleiten und hielt ihn auf Armeslänge von sich weg. Das Tier schien ermüdet vom Kampf, und einen Augenblick lang regten sich beide nicht. Garrett hörte das Mädchen atmen.
Doch dann wand sich der Schwanenhals in ihrer Hand, der Kopf schoss auf ihr Gesicht los, der Schnabel streifte ihre Wange. Sie drückte den Vogel mit dem Kopf tief in den nassen Schnee und machte sich auf ihm breit. Garrett spürte förmlich die Wärme des Schwanenleibs unter ihr, hörte das Tier zischen und geifern und das Knurren aus der Tiefe seines seltsam gerundeten Körpers. Als der Schwan schließlich ermattete, setzte ihm das Mädchen das Messer an den Hals und zog es mit einem Ruck nach oben durch.
Die Schwanenflügel flatterten schwach, zuckten und hielten wieder still. Das Mädchen wischte sich mit dem blutigen Handrücken über das Gesicht und sank neben den Vogel mit den schlaff von sich gestreckten Flügeln. Unter ihnen breitete sich eine glänzende Blutlache aus, und es schneite und schneite.
Lange Zeit rührte das Mädchen sich nicht von der Stelle. Garretts Beine waren steif vor Kälte, es drängte ihn danach, vom Boden hochzukommen, doch etwas hielt ihn in Bann.
In der folgenden Stunde sah er zu, wie sie den Schwan ausnahm, den Kopf und die schwarzen Schwimmfüße abschnitt. Aus der Körperhöhle und von den verstreut umherliegenden Innereien stieg Dampf auf. Die Leber, das pflaumengroße Herz und den sehnigen Hals legte sie beiseite und häutete den Schwan vollständig, bis sie einen schlaffen Balg aus weißen Flügeln, weißen Federn und blutiger Haut in der Hand hielt. Statt ihn fortzuwerfen, wie Garrett es erwartet hätte, breitete sie ihn im Schnee aus, rollte ihn sorgsam zusammen, die Flügel in die Haut eingeschlagen, und verstaute den Balg in einem Beutel. Dann zerrte sie den ausgeweideten Kadaver vom Ort des Gemetzels fort, wo das Blut und die Abfälle alsbald Raben, Elstern und andere Aasfresser anlocken würden. Am Rand der Lichtung stieg sie auf eine kleine Fichte und band Kadaver und Beutel an einem Ast fest.
Da sie ihm nun den Rücken zukehrte, kroch Garrett, so schnell er konnte, den Weg zurück, den er gekommen war. Bei der Fichtengruppe angelangt, versteckte er sich hinter einem Stamm und sah zu, wie sie sich im Sumpf hinkniete und Hände und Messerklinge im Schnee säuberte. Dann zog sie den Mantel und die Mütze wieder an. Garrett drehte sich um und rannte den Hügel hinunter.
Es hatte aufgehört zu schneien, und die Wolken verzogen sich allmählich. Das Dämmerlicht kündete vom bevorstehenden Winter. Nebelschwaden stiegen in Spiralen vom Fluss auf, und wie er da den Berghang hinablief, war es, als tauche er in eine Wolkendecke ein. Über ihm färbte der Himmel sich purpurn, Schneegänse zogen in einem großen V Richtung Süden, und zum ersten Mal in seinem Leben jagten ihre Abschiedsrufe ihm Angst ein.
Kapitel 39
Mabel und Faina saßen im Blockhaus und schnitten Schneeflocken aus Papier zum Schmuck für die kleine Fichte in der Ecke, als die Bensons unangekündigt mit Weihnachtsgeschenken aufkreuzten. Esther stieß die Tür auf, ohne anzuklopfen, und Faina schoss wie der Blitz ans andere Ende des Raumes, die Augen furchtsam weit aufgerissen, die Muskeln angespannt wie zum Sprung. Einen Moment lang fürchtete Mabel, das Mädchen würde versuchen, durch das geschlossene Fenster zu entkommen. Sie ging zu ihr hin und fasste sie sanft am Handgelenk, in der Hoffnung, sie damit zu beruhigen.
Esther stand mit weit offenem Mund stocksteif da. Wenn Fainas nacktes Entsetzen nicht gewesen wäre, hätte der Anblick Mabel belustigt.
So aber richtete sie sich auf, hielt das Mädchen weiter am Arm und holte tief Luft.
Esther, sagte sie. Darf ich dir Faina vorstellen. Faina, das ist meine liebe Freundin Esther.
In dem Moment kamen George und Garrett durch die Tür gepoltert; Esther hob die Hand und bedeutete ihnen, still zu sein, als liefen sie Gefahr, ein Geschöpf des Waldes aufzustören.
Es ist das Mädchen, George, flüsterte sie, ohne den Blick von Faina zu wenden. Sie steht hier, direkt vor mir.
George brach in lautes Gelächter aus, Garrett hingegen blieb stumm. Seine Augen wurden dunkel und groß, bis er Mabels Blick auf sich spürte und einen Schritt hinter
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