Das Schneemädchen (German Edition)
Sumpfgebiets. Hinter einen umgestürzten Birkenstamm geduckt, spähte er mit zusammengekniffenen Augen durch den herabfallenden Schnee.
Erst schien es nur einer der vielen Schneemugel im Sumpf zu sein, aber größer und seltsam geformt. Dann durchschnitten große weiße Schwingen die Luft, weiter ausgebreitet, als Garrett es mit seinen Armen vermocht hätte. Wieder hörte er das Blasebalggeräusch und wusste, dass es von den Flügeln herrührte. Auf Händen und Knien krabbelte er durch brusthohen Schnee um die Birke herum und kroch, von dem einen oder anderen Grashügelchen gedeckt, näher heran. Als er wieder zu dem weißen Geschöpf hinspähte, sah er noch etwas. Blondes Haar, ein menschliches Gesicht. Er zwinkerte, doch das Gesicht wollte nicht verschwinden, ebenso wenig wie die heftig schlagenden Flügel und das grauenvolle Zischen. Es kribbelte ihn im Nacken, Schweiß rann ihm über den Rücken, aber er schob sich weiter voran, war schließlich so nahe, dass er beim nächsten Flügelschlag den Lufthauch im Gesicht zu spüren meinte.
Ein weißer Schwan, der lange Hals eine elegante Kurve, legte den Kopf schräg und musterte ihn aus einem schimmernden schwarzen Auge. Dann zog er den Kopf zwischen die emporschnellenden Flügel und zischte erneut. Durch das weiße Federkleid hindurch war wieder das Gesicht zu sehen. Es gehörte einem Mädchen, das unmittelbar hinter dem Schwan im Schnee hockte und nun aufstand. Zunächst glaubte Garrett, sie hätte ihn entdeckt, doch sie hatte nur Augen für den Schwan. Ihr blauer Mantel war mit Schneeflocken bestickt, und sie trug eine Marderpelzmütze.
Das war sie, über die in all den Jahren so viel geraunt worden war. Das Kind, das niemand außer Jack und Mabel je gesehen hatte. Das Mädchen, das sich einen wilden Fuchs als Schoßtier hielt. Winter um Winter nicht einmal ein flüchtiger Blick, nicht ein Fußabdruck im Schnee, und nun stand sie hier vor ihm. Kein kleines Mädchen, wie er es sich immer vorgestellt hatte – sie war groß und schlank und nur ein paar Jahre jünger als er selbst.
Der Schwanenkopf näherte sich gefährlich den Schultern des Mädchens, die Flügel schlugen erregt und drohten sich um sie zu schließen, je näher der Vogel auf sie zuhüpfte. Erst jetzt sah Garrett, dass er mit einem Fuß in einer Schlingenfalle steckte. Das war kein feinknochiger Hase und auch kein flaumiges Schneehuhn, wie das Mädchen es vermutlich erwartet hatte. Der Schwan war riesig und wunderschön, pochende Muskeln und Sehnen unter weißem Gefieder, tiefliegende schwarze Augen und kampflustig bis in die Spitze seines schwarzen Schnabels. Ob das Mädchen ihn wohl befreien würde? Vielleicht gelänge es ihr, hinter ihn zu schlüpfen und die Falle aufschnappen zu lassen, doch bezweifelte er, ob sie nahe genug herankäme, ohne dass der Schwan auf sie losging.
Oder – wollte sie ihn töten? Der Gedanke bereitete ihm Übelkeit, und er wusste nicht, warum. Weil das Mädchen so dünn und zart war, so feine Züge und so kleine Hände besaß? Weil der Schwan Flügel hatte wie ein Engel und in Märchen unschuldige Mägdelein auf dem Rücken durch die Lüfte trug? Doch Garrett war klar, worum es hier ging – vom Fleisch des Schwans konnte das Mädchen wochenlang leben.
Sie begann, ihren Mantel aufzuknöpfen. Wie gebannt sah Garrett zu, obgleich ein Gefühl ihm gebot, den Blick abzuwenden. Sie hängte Mantel und Mütze hinter sich über einen Busch und stand nun in einem geblümten Baumwollkleid da, unter dem sie offenbar lange Unterwäsche trug. Dann bückte sie sich und zog ein Messer aus einer Scheide an ihrem Bein.
Der Schwan zerrte an dem Weidenstrauch, der die Falle hielt. Mit dem Messer in der Hand schlich das Mädchen langsam um einen Schneehügel herum und versuchte, sich dem Vogel von hinten zu nähern. Doch er folgte ihren Bewegungen, wandte den Kopf und hüpfte zu ihr hin. Von vorn würde sie es niemals mit ihm aufnehmen können. Der Schnabel würde ihr die Haut aufschlitzen, ihre zarten Knochen brechen. Wieder zischte der Schwan und schlug mit den Flügeln – kein vergeblicher Flugversuch, sondern ein Angriff. Garrett legte sich flach auf den Boden, um nicht gesehen zu werden.
Als das Mädchen auf den Schwan zuging, wurde sein Flügelschlag mächtiger, versetzte Schnee und Luft in wirbelnden Aufruhr, und sein Zischen verwandelte sich in ein schauriges, durchdringendes Knurren. Mit einem Satz war sie hinter ihm und sprang ihm auf den Rücken. Sein freies Bein knickte
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