Das Schneemädchen (German Edition)
vorher noch zu Abend essen?», fragte Mabel.
«Nichts da. Erst das Geschäftliche. Wir tragen das nämlich schon lange mit uns herum.» Er sah Garrett an. «Du weißt, dass wir ohne dich hier nichts auf die Beine gestellt hätten.»
«Ach, woher. Ich war ja bloß so was wie ein Handlanger. Das hätte auch wer anders machen können.»
«Das siehst du falsch. In den vergangenen Jahren haben wir dich nicht ansatzweise so entlohnen können, wie du es verdient hättest.»
«Und du warst für uns beide immer sehr viel mehr als bloß ein Handlanger», sagte Mabel. «Mit wem hätte ich denn sonst über Mark Twain und Charles Dickens sprechen sollen?»
Garretts Schultern lösten sich ein wenig aus der Verspannung, und er atmete langsam aus.
«Weißt du, was das hier ist?» Jack deutete auf einige Papiere, die vor ihnen auf dem Tisch ausgebreitet lagen.
«Nein. Keine Ahnung.»
«Das sind Schriftsätze, die dich zum Teilhaber an unserer Farm machen. Und in ihnen ist auch festgelegt, dass dies alles hier dir gehört, wenn wir beide nicht mehr sind. Jetzt schüttle nicht gleich den Kopf, sondern lass uns ausreden. Wie du weißt, haben wir keinen leiblichen Sohn, dem wir den Hof hinterlassen könnten. Und fest steht, dass du ihn zu dem gemacht hast, was er heute ist.»
«Ich weiß nicht …»
«Farmer zu werden, war nicht gerade von jeher dein erklärtes Ziel, das haben wir mitbekommen», fuhr Jack fort, «aber du scheinst doch recht stolz auf das zu sein, was du hier beigetragen hast. Und vielleicht könntest du den Hof ja betreiben und trotzdem im Winter noch deine Fallen aufstellen und so weiter.»
«Oder», setzte Mabel hinzu, «es stünde dir frei, ihn zu verkaufen. Wenn wir nicht mehr sind.»
«Ich würde nicht … Ach, ich weiß nicht.»
«Nun, denk in Ruhe darüber nach, wenn du möchtest», sagte Jack. «Schließlich stehen wir ja noch nicht mit einem Bein im Grab, oder, Liebes?»
«Nein. Ich hoffe, damit hat es noch ein Weilchen Zeit. Aber, Garrett, ganz gleich, wie du dich entscheidest, du sollst wissen, wie sehr du uns ans Herz gewachsen bist. Wir sind stolz darauf, was für ein Mann aus dir geworden ist.»
«Mabel, du machst den Jungen ja ganz verlegen.»
«Bitte lass mich ausreden. Es ist wahr, was Jack gesagt hat. Ohne dich und all deine harte Arbeit wären wir nicht mehr hier, gäbe es diese Farm nicht mehr. Das bisschen, was wir auf dieser Welt unser Eigen nennen, möchten wir dir gerne überlassen.»
«Ganz sicher? Gibt es denn sonst niemanden, vielleicht aus der Familie?» Garrett schob die Papiere wieder zu Jack hin.
«Nein. Du stehst uns von allen am nächsten», sagte Jack.
«So was hätte ich nie im Leben erwartet.»
«Das wissen wir. Aber es ist das Richtige.»
«Ich sollte das mit meinen Leuten besprechen», sagte Garrett. «Aber die Entscheidung liegt wohl bei euch beiden.»
«Wir sind uns so sicher, wie man nur sein kann», sagte Jack, griff über den Tisch und schüttelte Garrett abermals die Hand.
Kapitel 38
Es war erst Mitte November, doch schon deckte eine schwere Schneeschicht das Land. Garrett machte sich zu Fuß auf Spurensuche. Wolf, Marder, Nerz, Kojote, Fuchs – aber er hatte sich einen Vielfraß in den Kopf gesetzt. Keiner war ihm je in die Falle gegangen, trotz all seiner Erfahrung. Er hätte es nicht in Worte fassen können, doch er gierte förmlich danach, diesen unerschrockenen, blutrünstigen Einzelgänger zu bezwingen. Um in das Reich des Vielfraßes vorzudringen, musste er vom Flussbett aus weiter hinauf in die Berge denn je zuvor.
Je steiler das Gelände in Richtung der Gebirgsausläufer anstieg, desto mehr wünschte er sich, er hätte Schneeschuhe dabei. Sein leichtes Bündel barg genügend Vorräte, um ihn nötigenfalls eine Nacht überstehen zu lassen, doch bei dem Wetter würde er unter Kälte und Nässe zu leiden haben. Im Lauf des Vormittags begann es wieder zu schneien, und er erwog umzukehren. Aber stets lockte der nächste Kamm, die Rinne dahinter ihn weiter. Vielleicht stieß er ja, nur ein kleines Stück voraus, auf ein felsiges, enges Tal mit Vielfraßspuren. Doch als er einen mit Fichten bestandenen Hang erklommen hatte und vor sich ein Moor mit buckligen, schneebedeckten Grasbüscheln liegen sah, machte er kehrt. Hier würden keine Vielfraße zu finden sein, der frische Schnee begrub alle Spuren unter sich.
Ein Geräusch ließ ihn innehalten – heftig entweichende Luft wie von einem Blasebalg. Er fuhr herum und sah etwas am anderen Ende des
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