Das Schneemädchen (German Edition)
nicht auf zu lachen. Sachte warf er die Schneebälle auf sie hinunter. Dann stützte er die Hände auf die Knie, beugte sich vor und keuchte laut.
«Wir sind zu alt dafür», sagte er.
«Ach ja?»
Jack zog Mabel auf die Beine, bis sie Brust an Brust standen, keuchend und lächelnd und mit Schnee bedeckt. Mabel drückte ihr Gesicht in seinen feuchten Mantelkragen, und er legte ihr seine in dicken Wollstoff gehüllten Arme um die Schultern. So standen sie eine Weile und ließen den Schnee auf sich herabrieseln.
Dann löste Jack sich von ihr, wischte sich Schnee aus den nassen Haaren und griff nach der Laterne.
«Warte», sagte sie. «Lass uns einen Schneemann bauen.»
«Was?»
«Einen Schneemann. Der Schnee ist ideal. Ideal für einen Schneemann.»
Er zögerte. Er war müde. Es war spät. Sie waren zu alt für solchen Unsinn. Mabel wusste, es gab ein Dutzend Gründe, es nicht zu tun, doch dann stellte er tatsächlich die Laterne wieder in den Schnee.
«Also gut», sagte er. Es war ein Zaudern in der Neigung seines Kopfes, aber er zog seine ledernen Arbeitshandschuhe aus. Er legte seine bloße Hand an Mabels Wange und wischte ihr mit dem Daumen geschmolzenen Schnee unter dem Auge fort.
«Also gut.»
Sie hatte recht. Der Schnee war ideal. Er blieb in dicken Schichten kleben, als sie ihn zu Kugeln rollten. Mabel formte die letzte, kleinere für den Kopf, Jack stapelte sie aufeinander. Die Figur reichte ihm kaum bis über die Taille.
«Er ist ein bisschen klein», sagte er.
Sie trat zurück und betrachtete ihn aus der Entfernung. «Er ist genau richtig.»
Sie stopften Schnee in die Spalten zwischen den Kugeln, strichen die Ränder glatt. Jack entfernte sich aus dem Licht der Laterne und des Fensters und ging zu einer Baumgruppe. Er kam mit zwei Birkenzweigen zurück und steckte ihrem Geschöpf einen in jede Seite. Jetzt hatte es Arme.
«Ein Mädchen. Lass uns ein kleines Mädchen machen», sagte sie.
«Also gut.»
Sie kniete sich in den Schnee, formte aus der unteren Kugel einen Rock, der sich um das Schneemädchen ausbreitete. Sie ließ die Hände an dem Schnee nach oben gleiten, schabte an ihm und verschmälerte den Umriss, bis die Gestalt einem kleinen Kind ähnelte. Als sie aufstand, sah sie Jack mit einem Taschenmesser am Werk.
«So», sagte er und trat zurück. In den weißen Schnee hatte er vollkommene, schöne Augen geschnitten, eine Nase und einen schmalen weißen Mund. Sie meinte, sogar Wangenknochen und ein kleines Kinn erkennen zu können.
«Oh.»
«Gefällt es dir nicht?» Er klang enttäuscht.
«Doch. Doch, sehr. Sie ist wunderschön. Ich wusste bloß nicht …»
Wie konnte sie ihr Erstaunen ausdrücken? Diese feinen Züge, geformt von seinen schwieligen Händen, ein Einblick in seine Sehnsucht. Gewiss hatte auch er sich Kinder gewünscht.
Als Jungverheiratete hatten sie so oft davon gesprochen und gescherzt, sie würden ein Dutzend bekommen, geplant hatten sie aber eigentlich nur drei oder vier. Wie fröhlich würde Weihnachten sein mit einem Haus voller Kinder, sagten sie sich in dem ersten stillen gemeinsamen Winter. Mit einer gewissen Feierlichkeit packten sie ihre Geschenke füreinander aus und glaubten fest daran, dass eines Tages am Weihnachtsmorgen springende und entzückt jubelnde Kinder Trubel verbreiten würden. Mabel nähte einen kleinen Strumpf für das Erstgeborene, und er zeichnete Pläne für ein Schaukelpferd, das er bauen wollte. Vielleicht würde das erste ein Mädchen werden, oder würde es doch ein Junge? Wie hätten sie ahnen können, dass sie noch zwanzig Jahre später kinderlos sein würden, ein alter Mann und eine alte Frau allein in der Wildnis?
Während sie so beieinanderstanden, fiel der Schnee dichter und schneller, und man sah kaum weiter als ein paar Schritte.
«Sie braucht Haare», sagte er.
«Oh. Mir ist auch etwas eingefallen.»
Jack ging zum Stall, Mabel ins Haus.
«Hier sind sie», rief sie über den Hof, als sie wieder herauskam. «Fäustlinge und ein Schal für das kleine Mädchen.»
Er kam mit einem Büschel von dem vergilbten Wildgras zurück, das neben dem Stall wuchs. Indem er einzelne Halme in den Schnee steckte, schuf er wirre, gelbe Haare, und Mabel wickelte ihr den Schal um, steckte die Fäustlinge so an die Enden der Birkenzweige, dass die rote Kordel, mit der sie verbunden waren, über den Rücken des Schneekindes verlief. Mabels Schwester hatte die Sachen aus roter Wolle gestrickt, und der Schal hatte ein Muster, das Mabel noch
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