Das Schneemädchen (German Edition)
etwas über das Kind sagen, sie kannte die Familien im Tal und wusste vielleicht, warum ein kleines Mädchen allein durch den Wald spazierte.
Kapitel 7
Als Jack sich am Abend schlafen legte und die Augen schloss, schienen Äste, Wildspuren und verschneite Felsen in seine Lider geritzt, und die langen, auf der Jagd verbrachten Tage drangen in seinen Schlaf. Tagelang war er nun schon vor dem Hellwerden aufgestanden und mit Flinte und Bündel hinausgegangen, um nach einem Elch Ausschau zu halten, und jedes Mal war er sich dabei wie ein Hochstapler vorgekommen. Fast einen ganzen Nachmittag hatte er damit vergeudet, sich an etwas heranzupirschen, was sich dann als Stachelschwein entpuppte, das an einem tiefhängenden Zweig nagte. Er war am Wolverine auf und ab gestreift, in die Berge gegangen, über die Gebirgsausläufer und wieder zurück, und er hatte es gründlich satt.
Er blieb länger als sonst im Bett liegen und erwog, überhaupt nicht aufzustehen. Doch George hatte recht – wenn es ihm gelänge, einen Elch zu erlegen, könnten er und Mabel bis zur Ernte von Fleisch und Kartoffeln leben. Kaffee, Zucker, getrocknete Äpfel, Milchpulver, Speck, alles würde ihnen ausgehen. Sie würden die Hühner schlachten und das Pferd abmagern lassen müssen. Neue Stoffballen oder Mitbringsel aus der Stadt würde es nicht mehr geben. Es würde ein elender Winter, aber sie müssten nicht hungern.
Er stand auf, zog sich an und beschloss, sich morgen in der Stadt nach der Arbeit im Bergwerk zu erkundigen. Es mochte mühsam werden für seine alten Knochen, aber zumindest hätte er dann bei Tagesende etwas vorzuweisen. Trotz des Schnees fuhren die Züge, das wusste er von Betty, und die Mine war in Betrieb. Die Marine hatte ihre Kohlenbestellung erhöht und die Eisenbahn einen Trupp Männer beauftragt, die Gleise freizuhalten. Niemand wusste, wie lange die Arbeit weitergehen würde, aber vorerst wurden noch Leute gesucht.
In der Stadt hatte sonntags alles geschlossen, deswegen konnte er ebenso gut noch einen weiteren Tag im Wald verschwenden. Er hatte Zeit, bis die Bensons nachmittags zum Essen kämen. Mit Flinte und Bündel verließ er das Haus und ging auf dem Fahrweg zu dem abgelegenen Feld. Der Schnee reichte ihm weit über die Stiefel. Er hatte nicht vor, zu den Bergen hinaufzuwandern, wo der Schnee noch tiefer war. Er wollte sich nicht weit vom Haus entfernen und hoffte darauf, dass der Schnee die Tiere an den Fluss hinuntergetrieben hatte.
Der bedeckte, bleierne Himmel bedrückte ihn. Er durchquerte das Feld, jeder Schritt verlangsamt vom Schnee, und ging in den Wald, war aber nicht mit dem Herzen dabei.
Er hatte sich nie als Stadtkind betrachtet. Sein Lebtag hatte er auf der Farm seiner Familie im Allegheny-Flusstal gearbeitet. Er wusste mit Werkzeug umzugehen und mit Tieren, er verstand ein Feld zu pflügen. Doch zu Hause wurde der Boden seit Generationen bestellt, und das zeigte sich an seinen sanften Wellen und stattlichen Bäumen. Sogar das Rotwild war halb zahm, es weidete träge und wohlgenährt auf brachliegenden Feldern. Als Junge war Jack gern unweit der Obstwiese am Fluss entlanggeschlendert, hatte Grashalme gepflückt und die weichen Enden zerkaut. Die Luft selbst war von Pflanzenduft erfüllt gewesen, weich und lau, nicht zu kalt, nicht zu heiß, eine sanfte Brise. Er war auf duldsame Eichenäste geklettert und über grasbewachsene Kuppen gewandert. Diese ziellosen Spaziergänge als Kind zählten zu seinen friedvollsten Erinnerungen.
Hier aber war nichts wie zu Hause. Er hatte keine Freude am Alleinsein in diesem Wald, vielmehr war er unsicher und stets auf der Hut; vor allem die eigene Ungeschicklichkeit ängstigte ihn. Wenn er den Boden bearbeitete, stolperte er über wuchernde Wurzeln, er fällte Baum auf Baum, um die gerodete Fläche um wenige Meter zu vergrößern, und legte dabei Gesteinsbrocken frei, die so groß waren, dass er sie mit Hilfe des Pferdes vom Feld schleppen musste. Wie konnte dieser Boden jemals bestellt werden?
Wo die bearbeitete Fläche aufhörte, herrschte Wildnis, älter, grimmiger, mächtiger, als es je ein Mensch sein konnte. Die dünnen Schwarzfichten standen an mancher Stelle so dicht, dass kein Arm zwischen sie passte, und jedes lebende Etwas erschien ihm feindselig und voller Abwehr zu sein – die Stacheln vom Igelkraftwurz, die eiternde Wunden zufügten, Brennnesseln, die Striemen verursachten, und Mückenschwärme, die zeitweise so dicht waren, dass er gegen Panik
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