Das Schneemädchen (German Edition)
hin.
«Ma’am?»
«Einsam eben. Wenn du da so ganz auf dich gestellt in der Wildnis bist, das muss doch schrecklich sein.»
«Na ja, so viel Zeit verbringe ich ja gar nicht allein im Wald. Würde ich aber gerne. Die längste Zeit am Stück war eine Woche, letzten Sommer, da habe ich weiter unten am Fluss Lachse gefischt. Und das fand ich bestens. Ich hab den ganzen Tag und manchmal auch die ganze Nacht gefischt, weil um die Zeit die Sonne nie untergeht. Die Fische hab ich auf Erlenstangen gedörrt und geräuchert. Und da hab ich auch zum ersten Mal einen Nerz gesehen. Der kam einen kleinen Bergbach runter und wollte mir einen ganzen Lachs vor der Nase wegschnappen. Ich musste so lachen, dass ich nicht zum Schießen kam. Er hat gezerrt und gezogen, was das Zeug hielt.»
«Aber wenn du doch ein sicheres, warmes Heim und eine Familie hast, wieso willst du dann da hinaus?»
Der Junge blickte Jack zögernd an.
«Ich weiß nicht», sagte er mit einem Achselzucken. «Vielleicht will ich es gar nicht warm und sicher haben. Ich will leben.»
«Leben? Ist das hier denn kein Leben?» Sie seufzte tief auf.
Es herrschte Schweigen, bis sie mit der Kanne Kaffee an den Tisch trat und tat, als wäre der Junge eben erst gekommen. «So, da bist du nun also. Und was hast du da mitgebracht?», fragte sie.
Garretts Miene hellte sich auf, zugleich wirkte er plötzlich ein wenig verlegen.
«Ja, also, ich, äh …» Er schob Mabel das Bündel über den Tisch hin. «Das ist für Sie.»
«Soll ich es aufmachen?»
Der Junge nickte. Mabel knotete die Schnur auf und schlug das Leder auseinander. Darunter erspähte Jack ein Fuchsfell. Silbern und schwarz.
Mabels Gesicht blieb ohne Regung, als sie es mit den Fingerspitzen berührte.
«Es ist eine Mütze. Sehen Sie?» Der Junge nahm sie zur Hand und klopfte von innen leicht dagegen, sodass das Kopfteil sich wölbte.
«Die hat Betty für Sie genäht. Sie hat Ohrenklappen, die kann man oben zusammenbinden, so, oder runterlassen und unterm Kinn verknoten.»
Er gab sie Mabel zurück, die sie langsam hin und her wendete.
«Hoffentlich passt sie. Wir haben an Mamas Kopf Maß genommen.»
«Ich … das kann ich nicht annehmen.»
Der Junge machte ein langes Gesicht.
«Ist schon gut», murmelte er. «Wenn sie Ihnen nicht gefällt.»
«Mabel.» Jack legte eine Hand auf ihren Arm.
«Das ist es nicht», sagte sie. «Es ist zu viel.»
«Sie hat mich keinen Cent gekostet. Ich hab Betty Felle dafür gegeben.»
«Sie ist viel zu schön. Wann soll ich so etwas tragen?»
«Aber die ist doch gar nichts Besonderes», sagte der Junge. «So was tragen Fallensteller. Die müssen Sie sich nicht für Ausflüge in die Stadt aufheben oder so. Sie ist schön warm.»
«Probier sie an, Mabel», sagte Jack ruhig.
Auf die Wirkung war er nicht gefasst. Als Mabel sie aufsetzte und die Schnüre unter dem Kinn zuband, umrahmte das dichte schwarze Fell mit den silbern leuchtenden Spitzen ihr Gesicht, ließ ihre Augen in einem weichen Grau aufscheinen und verlieh ihrer Haut einen warmen, sahnigen Ton. Sie sah atemberaubend aus. Weder er noch der Junge brachten ein Wort heraus.
«Also, so wie ihr zwei mich angafft, steht sie mir offenbar nicht», sagte sie und zerrte sich in einer zornigen Aufwallung die Mütze vom Kopf.
«Sie steht dir gut», sagte Jack.
«Damit könnten Sie glatt in so einer Modezeitschrift aus dem Osten auftauchen», sprang der Junge ihm bei.
«Er hat recht. Sie steht dir mehr als gut.»
«Wollt ihr mir nicht nur schmeicheln?» Sie griff sich mit einer Hand ins Haar.
«Setz sie wieder auf, dann können wir es uns noch mal ansehen», sagte Jack.
«Sie passt gut», sagte sie, «als wäre sie für mich gemacht. Und sie ist wirklich warm.»
Jack stand auf und zeigte ihr, wie man die Ohrenklappen im Stil einer russischen Pelzmütze hochband.
«Ich glaube, damit bin ich die eleganteste Farmersfrau, die die Welt je gesehen hat», sagte sie.
Mabel gab dem Jungen noch mehrere Bücher aus ihren Reisekoffern mit. Als er nach Hause gegangen war, setzte sie sich zum Lesen an den Ofen. Jack stellte sich hinter sie und strich ihr sacht über den Nacken.
«Das kitzelt», sagte sie und schob zerstreut seine Hand beiseite.
«Ich glaube, mit der Mütze hast du dem Jungen völlig den Kopf verdreht.»
«Sei nicht albern», sagte sie. «Ich bin eine alte Frau.»
«Du bist immer noch schön. Und es scheint dich nicht zu stören, dass sie aus Fuchspelz ist. Ich dachte, du würdest dich daran
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