Das schoenste Geschenk
er etwas, das wussten sie in diesem Moment beide.
Als Victor schließlich auffiel, dass er sie festhielt, dass er den Wunsch hatte, sie an sich zu ziehen, ließ er sie abrupt los. »Sie gehen jetzt besser wieder an die Arbeit«, sagte er. »Und ich werde die Räume ausmessen.«
»Okay.« Sharon blickte ihm nach, wie er zur Tür ging. »In der Küche ist heißes Wasser, falls Sie sich einen Tee machen wollen.«
Was für ein seltsamer Mann, dachte sie. Unbewusst strich sie über die Stelle, wo seine Finger ihren Arm berührt hatten. Wieso hatte er ihr so durchdringend in die Augen geschaut? Sie zuckte die Schultern und befasste sich wieder mit ihrer Arbeit.
Victor blieb an der Treppe zum Obergeschoss stehen und warf einen Blick ins Wohnzimmer. Es war blitzsauber und bis auf die Möbel vollständig ausgeräumt. Jeder Gegenstand war weggepackt und in sorgfältig beschriftete Kartons verstaut worden. Sie muss hart gearbeitet haben, dachte er und stieg die Stufen hinauf.
Sharon musste auch im zweiten Stockwert wie eine Wilde geschuftet haben. Im Schlafzimmer ihrer Großmutter stapelten sich beschriftete Kartons, und nur vor ihrem Zimmer schien ihre Organisationswut haltgemacht zu haben. Papiere, Listen, Notizblätter und Rechnungen lagen in wüstem Durcheinander auf ihrem alten Schreibtisch herum, auf dem Fußboden häuften sich Antiquitätenkataloge, nicht weit davon standen ein Paar alte Turnschuhe, und über einem Stuhl lag achtlos hingeworfen ihr Nachthemd.
Es bestand kein Zweifel daran, dass Sharons Lebensstil ganz erheblich von ihrem Arbeitsstil abwich.
Victor musste plötzlich an die eleganten, ordentlichen Zimmer von Amelia denken. Sie hatte nirgends auch nur die geringste Unordnung geduldet. Sogar ihre zahllosen Cremetöpfe und Parfumflaschen standen in Reih und Glied auf ihrer Schminkkommode. In Sharons Zimmer gab es so ein Möbel nicht, auf dem Schreibtisch standen an persönlichen Dingen nur ein kleines Emailledöschen, ein gerahmtes Foto und ein einziges Parfumfläschchen. Victor betrachtete die Aufnahme. Es war ein Schnappschuss von Sharon als Teenager und einer weißhaarigen alten Frau in sehr aufrechter Haltung.
Das ist also ihre Großmutter, dachte Victor. Die beiden standen im hohen Gras mit dem Rücken zum Bach. Die Großmutter trug ein Hauskleid, das junge Mädchen ein gelbes T-Shirt und abgeschnittene Jeans. Jene Sharon auf dem Bild unterschied sich kaum von der jungen Frau, die draußen gerade die Veranda strich. Zwar trug sie ihr Haar länger und sie war etwas dünner, aber das vergnügte Lachen war das Gleiche. Victor fand sie mit kurzem Haar attraktiver. Es umschmeichelte so hübsch ihr Gesicht.
Unwillkürlich überlegte er, ob Carl wohl dieses Bild aufgenommen hatte. Die Vorstellung missfiel ihm.
Was hat sie nur an ihm gefunden?, fragte er sich, während er anfing, die Zimmer sorgfältig auszumessen. Dieser Dummkopf hätte sie mit Bestimmtheit den Rest ihres Lebens zu bevormunden versucht, dachte Victor weiter, als er wieder nach unten ging.
Victor maß gerade die vordere Veranda aus, als Sharon sich mit zwei Bechern Tee zu ihm gesellte. »Die Veranda sieht schlimm aus, nicht wahr?«, fragte sie vergnügt.
Victor schaute auf. »Es ist ein Wunder, dass sich hier noch niemand ein Bein gebrochen hat«, bemerkte er.
»Sie wird kaum noch benutzt«, erklärte Sharon, während sie geschickt einigen besonders morschen Holzplanken auswich. »Großmutter hat immer nur die Hintertür benutzt, und alle meine Besucher tun das auch.«
»Aber nicht Ihr Freund.«
Sharon warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. »Carl würde niemals die Hintertür benutzen, und außerdem ist er nicht mein Freund. Also, was soll ich machen?«
»Ich denke, Sie haben diese Geschichte schon erledigt, und zwar sehr erfolgreich.«
Nachdem sie ihn einen Moment angeschaut hatte, lachte sie. »Ich spreche nicht von Carl, sondern von der Veranda.«
»Reißen Sie das verdammte Ding ab.«
»Oh.« Sharon setzte sich auf die oberste Verandastufe. »Die ganze Veranda? Ich dachte, ich könnte die schlimmsten Planken erneuern und …«
»Das Ding wird zusammenbrechen, sobald mehr als drei Leute daraufstehen«, unterbrach Victor sie. »Ich verstehe nicht, wie man etwas so vernachlässigen kann.«
»Regen Sie sich doch nicht auf«, meinte Sharon gelassen und hielt ihm den Becher mit Tee hin. »Wie viel wird mich die Sache kosten?«
Victor überschlug im Kopf die Kosten und nannte ihr dann eine Summe. Er sah die Verzweiflung in
Weitere Kostenlose Bücher