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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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unter dem Flughafen gegraben hatte, mit
Schwarzmarktgeschäften, mit Eiern, die in Butmir für eine Mark in den Tunnel
kamen und in Dobrinja für zehn Mark wieder heraus, trotzdem sei er kein
schlechter Mensch, er habe sie als eine Art Concierge behalten und zahle ihr
jeden Monat ein kleines Gehalt.
    Ich frage, ob ich
einen Blick in die Zimmer im ersten Stock werfen könnte. Sie sagt, dort gebe es
nichts zu sehen, nur Lagerräume.
    »Ich war mit meinem
Mann hier.«
    Sie mustert mich, und
für einen Moment scheint es, als habe sie mich erkannt.
    »Er war Fotograf.«
    Sie nickt, sagt, hier
seien viele Fotografen vorbeigekommen, und stützt die Hände in die Hüften, um
mir zu zeigen, wie sie posiert hat.
    Sie geht weg, öffnet
die Metalltür zur Druckerei und kommt mit einem Schlüsselbund wieder. Ich solle
mich beeilen, sagt sie, und nichts anfassen. Sie könne mich nicht begleiten,
weil ihre Beine die Treppe nicht mehr hinaufkämen. Sie schickt mich mit einer
schroffen Handbewegung weg, der gleichen, mit der sie die Hühner verscheucht.
    Anela war es, die uns
in jener Nacht die Schlüssel gegeben hatte, wir bezahlten im Voraus, und sie
nickte mütterlich. Sie nahm Diegos Pass und gab ihn ihm zurück, ohne etwas
aufgeschrieben zu haben. Sie drehte sich zu dem Brett um, an dem die Schlüssel
der wenigen Zimmer hingen.
    Die Hand an der Wand.
Eine Hand. Meine Hand an dieser alten Wand. Ich taste mich an der Wand hinauf.
Ich bin über fünfzig und ohne Grund hier. Das ist der Flur, ich erkenne ihn auf
der Stelle. Ich atme durch, gehe weiter. Die Zimmer liegen alle auf einer
Seite. Hier oben hat sich eigentlich nichts verändert, es ist nur dunkler,
schmutziger. Der Geruch des Krieges ist noch da, er dringt aus den Wänden und
den Türritzen. Diese Stadt muss noch immer voll von solchen Orten sein … dem Anschein
nach renovierte Häuser, die wieder benutzt werden, doch drinnen einsame
Abgründe, düster wie nicht begrabene Leichen. Hier und da weisen die Wände
körnige Flecken auf, dort wo man den Putz erneuert hat, wo man die Wunden
geschlossen hat. Nahtstellen an den Mauern wie auf einem verletzten Körper. Es
herrscht eine drückende, stickige Hitze und der unangenehme Geruch nach
Kanalisation. Ich stoße eine Tür auf. Die Badezimmer sind noch da, die Wand
schrumpelig von altem Putz. Die Klos haben keine Brille, ihr Abfluss ist
schwarz, von dort kommt der Gestank. Ich zähle die Türen und wage mich in das
Zimmer hinein. Jenes Zimmer zum Wald, zu den Vögeln, den Pilzen, den
Eichhörnchen. Jenes Zimmer, das zu nah an der Feuerlinie lag. Da bin ich nun,
und ich schließe die Tür. Warte darauf, dass mein Herz sich beruhigt. Staubige
Kartons und Papierstapel. Durch das enge Gitter über dem Boden dringt Licht
herein. Ich lasse meinen kleinen Rucksack von den Schultern rutschen. Nur ein
paar Minuten, dann will ich gehen. Es genügt der Gedanke, dass dies ein Ort wie
jeder andere ist, ein von der Zeit abgenutztes Zimmer, von lichtem Staub besetzt.
Das Waschbecken an der Wand ist auch noch da, klein und einsam wie ein
Taufbecken in einer von den Lebenden vergessenen Kirche, dazu kreuz und quer
irgendwelche Stapel, Aktenmappen, Altpapier … Einladungen zu alten, inzwischen
überholten Hochzeiten, Bündel mit von der Feuchtigkeit schwarzen und von der
Hitze gewellten Handzetteln. Dann sehe ich die Eisenfüße. Das Gerüst des
Bettes. Jenes Bettes. Auch das unter der Last schwerer Packen, in braunes
Papier eingeschlagen, verschnürt und mit amtlichen Stempeln versehen, wie alte,
nie abgeschickte Post.
    Ich stolpere, fange
mich. Auf diesem Drahtgestell vor mir sitzt Diego … Die Matratze ist nicht
bezogen, hier und da angesengt und fleckig. Sein Oberkörper ist nackt, er
spielt Gitarre, die langen Haare mit einem Gummi zusammengehalten, den er mir
geklaut hat. Seine Füße sind blutverschmiert, es sind die Füße eines Jungen,
der durch Scherben gelaufen ist. Er sieht mich nicht an, er singt … Spring is here again … Tender age in bloom …
Nevermind … Aska sitzt neben ihm auf der verbrannten Matratze, sie zittert. Die Fenster
sind kaputt, Frostschauer wehen herein. Ich möchte ihnen eine Jacke geben, eine
Decke … irgendwas. Sie zudecken. Ich lächle, ihnen ist nicht kalt, denke ich,
sie sind ja tot. Seit Jahren schon sitzen sie still auf diesem alten Bett,
gefangen in diesem Zimmer.
    An jenem Abend
alberten wir herum und hielten uns im Arm. Wir gingen die Gassen hinauf und
ließen den Brunnen der Reisenden hinter

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