Das schönste Wort der Welt
uns, seine Wasserrohre aus dunkel
glänzendem Eisen grüßten uns. Wir kamen forsch an, wenn auch von Panik erfüllt.
Wir blieben stehen, küssten uns und sogen den Geruch des anderen ein. Die
Schüsse schwiegen. Es schien ein fernes, beendetes Spiel zu sein, von müden
Kindern, die bereits im Bettchen waren.
Ich gebe ihm die
letzten Instruktionen und küsse ihn bis tief in den Hals.
»Wir sind verrückt«,
sagt er.
Wir haben unsere
Jugend wiedergefunden, und dieser nächtliche Spaziergang hat große Ähnlichkeit
mit dem von damals im Schneetreiben, als wir uns zum ersten Mal trafen. Wir
sind streunende Katzen, das Leben versetzt uns zurück, wir sind Körper, die
sich trauen. Zum Teufel mit den guten Manieren und den nachträglichen Bedenken.
Da ist der Eingang, da ist die schiefe Pappel, einsam wie ein alter Mann, da
ist der eiserne Hahn und die Aufschrift GOSTIONICA , Gasthaus. Wir klopfen, und Anela
macht uns auf, sie beschwert sich, sagt, es sei schon spät, sie sei seit fünf
Uhr morgens auf den Beinen und habe gerade ins Bett gehen wollen. Sie lässt uns
herein und lächelt. Es ist ein beliebiger Abend, noch vor den Tassen, noch vor
dem blanken Wahnsinn. Sie gibt uns die Schlüssel fürs Zimmer und für die
Haustür und sagt, wir sollen leise sein.
Wir gehen wieder auf
die Straße hinaus und warten auf Aska, wir setzen uns auf eine Treppenstufe am
Haus gegenüber. Der Mond ist dünn, ein weißer Bogen am schwarzen Himmel. Die
Pappelzweige zittern in der vollkommenen Stille. Diego schmiegt sich an der
Hauswand an mich, und ich spüre seinen Atem. Von dem Lamm fehlt jede Spur.
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir warten noch ein
bisschen.«
Es ist nicht kalt,
ein milder Aprilabend. Wären wir gegangen, wäre nichts von dem geschehen, was
dann kam … Doch das Leben ist wie Wasser, es verschwindet, es versickert und
taucht wieder auf, wo es kann, wo es muss.
Ich streichelte
Diegos weiche, frisch gewaschene Locken. Er hatte den Kopf auf meine Beine
gelegt, die Zeit verging, und unser anfangs ungeduldiges Warten war immer
unsicherer geworden. Wir schauten uns um, ein perlgrauer Dunst zog in der Dunkelheit
herauf.
Die
Nirvana-Verehrerin hatte uns auf den Arm genommen, ihr Draufgängertum war so
unecht wie ihre zerrissenen Klamotten und ihr metallbeschlagener Gürtel im Stil
einer Science-Fiction-Agentin. Sie hatte uns eine Stange Geld aus der Tasche gezogen,
und weg war sie. Das Cover des Nevermind -Albums
fiel mir ein, sie hatte es wie eine Reliquie an ihrem Bett und sah es sich
jeden Abend vor dem Einschlafen an. Darauf war ein Neugeborenes mit
ausgebreiteten Armen zu sehen, das in blauem Wasser einem Ein-Dollar-Schein
hinterherschwamm. Plötzlich ein Schuss, dann aufgeregte Stille. Wir starren zum
Trebević hinauf und suchen mit den Augen seine
dunklen, reglosen Tannenwälder ab. Hier unten weht Mandelflaum, weißer Staub,
der vorwärtswallt und Meter frisst.
»Komm, lass uns
verschwinden.«
Ja, verschwinden wir
aus dieser Nacht und aus dieser Stadt, die langsam wehtut. Und schon überlegen
wir, ob wir uns nicht mit einem Ausflug ans Meer trösten sollten, zu den
paradiesischen Inseln, die jetzt leer, weil von den Touristen verlassen sind.
Doch Aska kommt.
Zunächst hören wir das verstummende Motorrad, dann taucht ihre Gestalt aus dem
Dunst auf, der ihre Schritte verschluckt. Da steht sie, reglos an der roten
Eingangstür, und wartet auf uns. Die in ihrem schwarzen Schrein verschlossene
Trompete umgehängt.
Ich sehe sie, und mir
wird klar, dass ich diese nächtliche Szene schon kenne, diesen Nebelrahmen, der
die Umrisse ihres Körpers absorbiert, ganz wie auf Heiligenbildern. Sie ist
unsere Madonna, mit wildem, rotem Haar, durchlöcherten Strümpfen und
Militärstiefeln.
Wir begrüßen sie mit
einem Pfiff, mit einer Hand. Sie sagt ciao-ciao , auf Italienisch. Sie sagt sehr gern ciao-ciao . Ihre Aussprache ist sonderbar
kehlig, es klingt wie der Lockruf aus dem Hals eines wilden Truthahns.
»Ich bin zu spät.«
»Wir wollten gerade
gehen.«
»Es war chaotisch.«
Stimmt, es war
chaotisch auf den Straßen, die Leute gingen nur zögernd nach Hause.
Sie kommt nicht
herüber, bleibt, wo sie ist, und wartet auf Diego. Ich sehe nur eine Bewegung,
eine Hand, die über ein Bein streicht. Eine langsame, womöglich traurige Geste,
so als streichelte sie einen Körper jenseits des eigenen, den Rücken eines
Hundes oder den Kopf eines Kindes.
Ich hätte ihnen
hinterhergehen und unten warten können. Hätte
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