Das schönste Wort der Welt
dem Feuerzeug an und steckt
sich eine Zigarette an, ich nehme auch eine.
Wir sehen zu, wie
sich das schwarze Stück Papier in der Nacht zusammenrollt und tanzend
verlischt.
»Schade, es war
schön.«
Er verabschiedet sich
von seinem Gedicht.
»Ciao, ihr verlorenen
Worte, entflammt von einem grausamen Herzen …«
Die Morgenröte
gesellt sich zu unseren Schritten. Nach und nach treten die Farben der
parkenden Autos und des Efeus an der Mauer hervor, an der wir stehen geblieben
sind. Gojkos Atem streift mich und ich weine wieder los. Mein Mund zittert.
Mich überkommt der Gedanke, dass dies das letzte Aufzucken des Lebens ist, dass
wir uns nie wiedersehen werden, dass uns etwas passieren wird. Er kommt noch
näher, seine Augen sind ernst und ruhig. Er hat keine Lust mehr, Witze zu
reißen und das Leben lauthals und lachend zu verspotten. Er pustet mir ins
Gesicht.
»Stinke ich?«
»Nein, du duftest.«
Da kommt er ganz
dicht. Wir küssen uns, wie wir uns noch nie geküsst haben, ich spüre seine Zähne,
seine raue Katzenzunge, spüre sein Gewicht, das auf mich fällt, spüre das entschlossene
Keuchen, spüre die süße Klebrigkeit seines Herzens, all der Gedichte, die er
geschrieben hat und die kein Mensch je lesen wird.
»Komm, wir gehen zu
mir.«
Er senkt den Kopf und
hebt ihn wieder, seine kleinen Augen werden weit. Es ist genau die richtige
Nacht.
»Lass uns ein
einziges Mal zusammen schlafen, bevor wir sterben.«
Es war nur ein
Augenblick, ein kurzer Augenblick, der vorüberging, der verlosch wie das
verbrannte Papier in der Nacht.
Wir waren ein
zusammengestoppeltes, sentimentales Paar, zwei dämliche Satelliten dieser
beiden jungen Planeten. Ich knuffte ihn gegen die Wange.
»Wir werden nicht
sterben, Gojko.«
Dann ab ins Bettchen.
Wie zwei blöde Geschwister.
Hier nun steht das
Bett, vor meinen Augen. Oder das, was von diesem Bett übrig ist, ein
Eisengestell mit vom Regen verrosteten Beinen. Zu breit, um durch die Tür zu
passen, weshalb sich niemand die Mühe gemacht hat, es wegzuwerfen, man hat es einfach
mit Makulatur vollgekramt. Saison für Saison hat dieses Feldbett auf mich
gewartet, hat den Krieg überdauert und gaukelte mit seinem unaufhörlichen
Quietschen durch meine Träume. Wie eine Schaukel in einem verlassenen Garten,
die bei jedem Windstoß losknarrt, um ihrer alten Bestimmung nachzukommen.
Ich gehe zu dem
Gestell und schiebe ein paar Pakete zur Seite, sie sind schwer, fallen wie
Ziegelsteine herunter und wirbeln Staub auf. Ich brauche nicht viel Platz, ich
bin dünn, nur einen schmalen Streifen dieses Eisengeflechts. Ich lege mich hin
und ziehe die Knie an, die Schuhe noch an den Füßen.
Pietro ist zurück, er
schlurft gebückt und mit schweren Schritten durchs Zimmer und stinkt nach
Chlor. Er meckert herum, weil ihm der Rücken brennt, weil Gojko auf ihn gefallen
sei und zwei Zentner wiege, und weil Dinka ihn gekratzt habe, sie habe zu lange
Fingernägel und viel zu viel Schiss.
Seine Schritte lassen
den Fußboden erzittern, und ich zittere mit, wie eine alte Fensterscheibe in
ihrem Rahmen.
Ich liege zusammengerollt
auf dem Bett, mit offenen Augen im Dämmerlicht.
»Mach nicht solchen
Krach«, sage ich. »Nicht so laut …«
Pietro reißt die
Fensterläden auf und sagt: »Wieso ist das denn so dunkel hier?«
Das Licht springt
mich mit aller Heftigkeit an.
»Und was hast du so
gemacht, Ma?«
»Nichts, ich bin
herumgelaufen.«
Er wirft einen Blick
auf meine Füße.
»Du hast dir ja nicht
mal die Schuhe ausgezogen.«
»Lass mich einfach
eine Weile in Ruhe.«
»Du hattest doch den
ganzen Tag deine Ruhe, was ist denn los?«
Ich sage, dass ich
mich nicht wohlfühle und mich ein bisschen ausruhen will. Er antwortet Ach du Scheiße .
Ich wische mir hastig
die Augen, mit einem Stückchen Hand. Er soll nicht merken, dass ich geweint
habe, doch er späht mich mit seinen Luchsaugen aus, die weit weg von meinen
sind.
Er nörgelt immer
noch, jetzt hat er den Aktionsradius ausgedehnt. Er grummelt, seine Freunde
würden im August die abgefahrensten Reisen machen, nach Amerika, die
Wasserfälle rauf und runter, oder nach Dubai, wo es hoch am Himmel diesen
Tennisplatz gibt, auf dem auch Federer gespielt hat. Und wir sitzen hier in
dieser Scheißstadt.
Ich antworte nicht,
soll er doch reden, was er will.
Ich möchte mich im
Dunkeln zusammenrollen. Will Diego, will seine Arme, die mich sanft halten, als
wäre ich aus Glas. Stattdessen fällt diese hässliche Knarzstimme über
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