Das schönste Wort der Welt
Eisenbergwerke.
Menschliche Skelette ohne Zähne und verstümmelt, wie man es seit langer Zeit
nicht mehr gesehen hat.
Dann ruft Diego an,
und diesmal scheint er mehr Zeit zu haben. Ich höre eine Verpuffung und frage
ihn, was das sei, er sagt, das sei die Musik des Tages. »Warte.«
Ich höre noch mehr
Lärm, fleckig, zerfranst. Ich rufe ihn.
»Diego! Diego!«
Er kommt zurück:
»Hörst du? Ein paar verstreute MP -Salven. Eine Haubitze. Eine Granate. Schüsse auf einen Krankenwagen …«
»Sie schießen auch
auf Krankenwagen?«
Er lacht. Ich frage
mich, ob er verrückt geworden ist oder ob er nur betrunken ist.
Wieder eine Woche
Funkstille. Ich gehe zum Friseur. Setze mich in dieses Flachland des
Wohlstands, lasse mir auch die Fußnägel feilen. Die Frauen um mich her haben
elegante Handtaschen und auf sie wartende Verpflichtungen in dieser Stadt, die
nach der Sommerpause ihren alten Trott wiederaufgenommen hat. Ich habe nichts,
nur meinen verlassenen Körper. Diesen Kopf, dem ich zu einer äußeren Ordnung
verhelfen will. Ich bin eine Gefangene dieses Niemandslandes. Ich gehe hinaus
und sehe aus wie eine Puppe, vor Düften triefend, die nicht meine sind. Es
regnet, doch ich spanne den Schirm nicht auf, ich lasse mich mit Vergnügen
verwüsten.
Batterien, Vitamine, Campinglampen
Batterien, Vitamine,
Campinglampen. Was noch? Alles, alles war nützlich, es fehlte dort an allem.
Antibiotika, Tabletten zur Desinfektion des Wassers. Zigaretten, Milchpulver,
Dosenfleisch. Ich ging in die Geschäfte und zog den zerknitterten Zettel
hervor. Gojko hatte mir eine Liste diktiert, und die arbeitete ich nun ab. Nach
der Angst der Ansporn, nein, nicht des Mutes, sondern eines Ziels, und mochte
es noch so klein sein.
Ich hatte auch schon
ein Paket gepackt und es ihm mit der Caritas geschickt, aber es war nicht
angekommen. Damit musste man rechnen, die besten Pakete wurden aufgeschlitzt
und geplündert. Jetzt reiste ich ab, und das Paket mit mir. Ein riesiger Koffer
auf Rädern, aus dehnbarem, doch strapazierfähigem Stoff.
Die Verkäuferin im
Koffergeschäft schaute diese dünne, sonderbare Frau erschrocken an, die sich
auf einen schwarzen Koffer setzte, um zu testen, ob der Stoff hielt.
»Was wollen Sie denn
damit transportieren?«
»Eine Leiche.«
Sie lachte über
diesen Witz, der so schwarz war wie der Koffer. Ich zahlte und zog den Koffer
nach Hause. Meinen großartigen Schwanz.
Eine dürre, von der
Stille angeschlagene Frau, eine unfruchtbare Frau, zieht einen großen, leeren
Koffer, der sich mit allem Möglichen füllen wird, durch die Straßen, die
Bürgersteige rauf und runter. Diesen Koffer Stück für Stück vollzustopfen ist
für die kommenden Tage das Ziel ihres Lebens.
Die Schichten, nachts
wieder und wieder neu gepackt. Zuerst die festen und sperrigsten Sachen, dann
die kleineren, zerbrechlicheren Dinge, die Glasfläschchen. Da steht er, der Koffer,
und sieht mich an. Ich bin jetzt nicht mehr allein.
Jedes Stück, das ich
einpacke, ist eine Hoffnung für das Leben. Die Frauen haben keine Monatsbinden mehr,
bring auch die mit.
In der Apotheke
bleibe ich stehen, ich fahre über die rosa und violetten Packungen. Extra-slim,
starke, doch superdünne Binden, die teuersten, sie tragen nicht mal unter engen
Hosen auf. Die Sorte, die am wenigsten Platz wegnimmt. Ich werfe die Packungen
in den Koffer, eine breite Schicht Monatsbinden. Die dünnen reichen. Was für
Blutungen können so ausgehungerte Frauen schon haben?
Auch mein Vater
schafft Verschiedenes heran. Er sieht den Koffer an wie einen Sarg.
»Ich hole mir Diego
zurück«, sage ich.
Er hält die Luft an
und fügt sich meinem Schmerz, meiner Wut.
Dieser Koffer kostet
Zeit, er beherrscht unsere Tage und gibt Anlass zu Streitereien. Ich kann nichts Sperriges mitnehmen, das habe
ich dir doch gesagt! Da passt nicht der kleinste Scheiß mehr rein, siehst du
das denn nicht?! Ich werfe ihm die Decken, die er mitgebracht hat, an den Kopf.
Es ist, als müsste
dieser Koffer über Nacht wachsen, sich aufblähen zu einem dicken Bauch, zu
einem Container, es ist, als müsste er ganz Sarajevo retten, sättigen, kleiden!
Ich sehe den Koffer an, und meine Augen glänzen. Nachts stehe ich auf und überprüfe
das Verfallsdatum der Antibiotika und der Energieriegel. Alles wird gebraucht,
alles ist nützlich, ich könnte das alles küssen. Ich betrachte den Koffer wie
eine Mutter die Aussteuer ihrer Tochter.
Wie viel Leben steckt
in jenem Krieg?
Wie viel Tod
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