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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Rumpf und von den Flügeln, die einige Äste der schlammdichten
Tannenwälder mitgerissen haben. Mein Mund ist ausgedörrt, meine Zunge
unbeweglich, Fleisch so grau wie das Weiche eines schimmligen Brotes.
    Außer mir nur drei
weitere Zivilisten auf Friedensmission in diesem Land ohne Frieden. Zwei Ärzte
und die Volontärin eines unabhängigen Radiosenders, Vanda. Ein kräftiges,
maskulines Mädchen, eher ungepflegt wie manche slawischen Männer. Sie ist die
Entspannteste der Gruppe. Zwei Mal war sie seit Beginn der Belagerung schon in
Sarajevo, sie erinnert an eine dicke Ratte, die immer weiß, was zu tun ist,
wenn es brenzlig wird. Wie ein Kriegsberichterstatter im Film trägt sie eine
Jacke voller Taschen, sie sehen aus wie Verstecke für Handgranaten. Sie kaut einen
Kaugummi und macht mit den Lippen kleine Blasen, kleine Explosionen, die mich
zusammenzucken lassen.
    Aus meinem Koffer
steigt der Duft der Pfirsiche meines Vaters auf. Vanda lächelt und lässt noch
eine Blase knallen, ich komme ihr wohl vor wie nicht ganz bei Trost. Sie fragt
mich, ob ich heute Abend zurückfliege, und erzählt, dass die Intellektuellen
normalerweise nur ein paar Stunden bleiben, gerade lange genug, um behaupten zu
können, sie seien dagewesen, und um ein bisschen den Geruch nach verbrannten
Ameisen zu schnuppern.
    »Verbrannte Ameisen?«
    »So riechen die
Leichen.«
    Wahrscheinlich hält
sie mich für einen von diesen tintenbewaffneten Geiern.
    »Ich fahre zu meinem
Mann, er ist Fotograf, er ist schon seit Wochen in Sarajevo.«
    Sie erkundigt sich,
wie er heißt. Sie kennt ihn, sagt sie, sie hat ihn gesehen, Ende August. »Er
ist nett, er ist verrückt.«
    »Wieso verrückt?«
    »Er hat in der
Miljacka gebadet, während oben geschossen wurde.«
    Ich schüttele den
Kopf, doch sie ist sich sicher. Sie sagt: »Er hat Locken und einen Bart.«
    »Nein, einen Bart hat
er nicht.«
    »Dann ist er es doch
nicht, dann muss es ein anderer Diego sein.«
    Ein
anderer Diego ,
denke ich, ein
anderer Diego ,
während sich das Flugzeug herabsenkt. Zu einer spiralförmigen Landung, wie im
Krieg üblich. Ein plötzliches Abfallen. Nur für einen kurzen Augenblick sehe
ich den Peitschenschlag der Berge, dann folgt der Aufprall der Räder unter
meinen Füßen.
    Der Flughafen hat
drei Zollabfertigungen, drei Sperren. Die Militärs verfeindeter Armeen trinken
vom selben Münzautomaten Kaffee, mehr als der eine ist nicht übrig. Ich sehe
mir diese surreale Szene an, Feinde, die sich zum selben Metallloch hinunterbücken.
Der Flughafen wird von den Blauhelmen kontrolliert, die die Rollbahn und die
Verteilung der Hilfsgüter sichern, doch in Wahrheit haben sie sich mit den
serbischen Milizen geeinigt. Es herrscht keinerlei Spannung, alle scheinen
todmüde zu sein. Ägyptische Soldaten dösen auf dem, was von den Sitzen noch übrig
ist, die blauen Helme schlackern über ihren dünnen, dunklen Gesichtern. Wir
müssen lange warten, bis uns ein gepanzerter Jeep der UNPROFOR , der »Schutztruppe« der Vereinten
Nationen, in die Stadt bringt. Vielleicht verhandeln sie ein bisschen über eine
Feuerpause, denn ich höre einen der Blauhelme mit einem heruntergekommenen Kerl
in Tarnuniform und schwarzer Baskenmütze mit Adler tuscheln: » Can they go now? OK ? «
    »…  Slobodan? Free? «
    Der Serbe nickt. Wie
das, frage ich mich, wie kann es denn sein, dass ein UNO -Offizier einen Militär der Aggressorarmee um eine Passiergenehmigung
bittet? Doch zum Staunen bleibt keine Zeit. Dieser Flughafen ist bereits der
reinste Hohn, ein brandiger Fuß am leidenden Körper der Stadt. Wenn das hier
das Tor zur Welt ist, gibt es für die Mäuse keine Rettung.
    Wir steigen geduckt
und ohne uns umzuschauen in den Jeep. Wir passieren den ersten Checkpoint,
Eisenhaufen wie von herausgerissenen und über Kreuz gelegten Schienen, dazu Unmengen
von Sandsäcken. Gesichter in Sturmhauben, umklammerte Kalaschnikows an den
Körpern. Der Typ am Lenkrad schreit.
    » Keep your head down! «
    Der Jeep rast durch
die Scharfschützen-Allee, schleudert herum, um den Trümmern auszuweichen, die
die Straße blockieren. Durch den einzigen Lichtspalt sehe ich das Gebäude der Oslobodjenje vorbeifliegen, nichts steht mehr, nur
der Fahrstuhlschacht, wie eine Lakritzstange in einem geschmolzenen Eis.
    Wir kamen in die
große Halle des Holiday
Inn , nachdem
wir mit Vollgas die Rampe zur Kellereinfahrt hinuntergerast waren. Ein dunkler
Bauch, geschützt durch Plastikplanen der UNPROFOR , gerammelt

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