Das schönste Wort der Welt
steckt
in diesem Frieden?
Das Leben ist in mich
zurückgekehrt, von den Füßen aufwärts, vom Schoß, vom Bauch.
In einem großen
Upim-Kaufhaus kaufe ich Unmengen von Filzstiften und Malheften.
»Sind Sie Lehrerin,
Signora?«
Ich sage es: »Ich
fahre nach Sarajevo.«
Da ändert sich der
Gesichtsausdruck der stämmigen Kassiererin, die von der Routine ihrer Arbeit
ausgelaugt ist. Sie wird zu einer dicken, wogenden Mutter, und mit den roten
Flecken auf ihrem Gesicht tritt die Menschlichkeit zutage. Jetzt hilft auch der
junge Lagerarbeiter mit dem Ohrring und den Zähnen eines Fixers mit, und auch
der Chef mit der gestreiften Krawatte. Sie holen alles Mögliche aus dem Keller,
Restposten an Bürobedarf, an Kleidung.
»Nehmen Sie, Signora,
nehmen Sie, ich helfe Ihnen tragen.«
Der Lagerarbeiter ist
der Eifrigste, er schluckt.
»Die Messer, die wir
zum Entkernen von Oliven verwenden, benutzen diese Bestien, um Augen
auszustechen.«
Er fahre nach
Jugoslawien in den Urlaub und habe sogar eine Verlobte in Split. Das reinste Paradies , sagt er.
Die Mädchen im
Fitness-Studio trippeln herum, es gibt da ein neues Gerät, den Step, ein
Trittbrett aus Kunststoff, sie steigen auf, sie steigen ab, sie schwitzen.
Ich bin im hinteren
Teil des Raumes und betrachte die kleinen Hintern und die Tanga-Bodys. Ich
steige von diesem Plastikbänkchen. Ich bin in Form, ich gehe zum Laufband
hinüber. Will man nach Sarajevo zurückkehren, muss man in Form sein, man muss
laufen können und genug Luft haben, um dem Tod zu entwischen, um ihn bei
jemandem zu lassen, der älter und weniger in Form ist als man selbst.
Die Mädchen in den
Umkleideräumen cremen sich ein, sie schwänzeln nackt mit ihren gemeißelten
Körpern herum, plappern über Männer und Diäten, schminken sich, ziehen einen
Strumpf hoch.
Ich schließe ein,
zwei Mal die Augen und werde schläfrig in dieser lauen Wärme von Duschen und
Haartrocknern. Adieu, ihr Mädchen, adieu. Adieu, ihr dummen Gänse.
Mein Vater ist
inzwischen besser als ich, er treibt sich an den Marktständen von Porta Portese
herum, besorgt kleine Schraubenschlüsselsets, Kupferdrahtrollen, Transistoren
und sogar ein Nachtsichtgerät. Der Koffer wird noch aus den Nähten platzen. Ich
sehe ihn an, es ist die letzte Nacht. Endlich kann ich los, endlich kann ich
bei einem der Hilfsflüge mitfliegen.
Viola ruft mich an.
Man hat einen Knoten in ihrer Brust entdeckt, sie weint um ihre Brust und
weint, weil ich wegfahre. »Du bist meine beste Freundin.«
Eigentlich war ich
nie mit diesem kantigen Mädchen befreundet, das ging alles nur von ihr aus.
Doch heute Abend merke ich, dass sie sehr wohl etwas ausgelöst hat, dass manche
Menschen sich in uns festsetzen wie Krebs, und wir wissen nicht genau, wann.
»Hast du Angst?«,
frage ich sie.
»Ach, scheiß auf
dieses Knötchen.«
Ich weiß nicht, ob
sie weint oder lacht.
»Und du? Hast du
Angst?«
Ich habe Angst vor
allem Möglichen, vor Lastwagen auf der Autobahn, vor dem Gedränge bei einem
Konzert. Ich habe sogar Angst vor Blitzen, also erst recht vor einem Krieg.
Mein Vater bringt
eine Stiege noch nicht ausgereifter Pfirsiche an. Ich rege mich auf, doch dann
packen wir sie unter den Wollsachen ein.
Armando hat sich auf
den Koffer gesetzt und ihn mit dem Hintern zugedrückt, während ich ihn umrundet
und dabei den Reißverschluss zugezogen habe. Jetzt ist der Koffer ein dicker, geschlossener
Körper.
Ich gehe durch die
Wohnung und ziehe ihn hinter mir her. Ich versuche, ihn anzuheben. Ich muss
unabhängig sein, niemand wird mir beim Entladen meiner Hilfsgüter helfen.
Ich behalte ihn bei
mir während des Fluges, der mir im Nu vorbei zu sein scheint, meine Angst ist
komplett wieder da, wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort nach New York
weiterfliegen. Das Flugzeuginnere ist raues Eisen. Ein paar nackte Sitze an den
Wänden und viel Stauraum für die Kisten und die Haufen von Militärplanen. Nach
dem Meer überfliegen wir das Festland.
Ein beißender Geschmack
steigt mir in die Kehle, wie Sodbrennen. Meine Arme und mein Kopf sind steif,
meine Füße gegen das Metall gestemmt, das unaufhörlich vibriert. Es herrscht
der ohrenbetäubende Lärm von Motoren, die durch den Himmel heizen. Jetzt weiß
ich es, spüre ich es. Jetzt könnte es passieren. Wir gehen in den Sinkflug.
Jetzt sind wir drin. Wir sind ein Ziel für die aus den Wäldern. Szenen, die ich
gesehen habe, kommen mir in den Sinn, Wrackteile abgeschossener Flugzeuge,
Fetzen vom
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